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Empfehlung im Februar von Doris Götting
Ljudmila Ulitzkaja: Jakobsleiter
Die bekannte russische Autorin erzählt die Geschichte Noras, Bühnenbildnerin, alleinerziehende Mutter eines Sohnes, formell verheiratet mit Vitja, einem inzwischen in den USA lebenden Wissenschaftler. Noras große Liebe ist Tengis, Regisseur aus Georgien, mit dem sie gemeinsam Inszenierungen im In- und Ausland realisiert. Ihre Großmutter Marussja vermacht ihr eine Weidentruhe voll alter Hefte, Notizen, Briefe, Fotos und Bücher. Als sie sich näher mit dem Inhalt beschäftigt, stellt sie fest, dass ihr jüdischer Großvater Jakow während der Stalin-Ära viele Jahre in Haft und Verbannung verbracht hat. Auf der Familie lastet also eine Hypothek aus der Vergangenheit, die, da verschwiegen, verdrängt und unverarbeitet, in den innerfamiliären Krisen immer wieder aufscheint. Nach dem Ende der Sowjetunion geht Nora zum KGB-Archiv, um dort mit wachsender Erschütterung die Strafakte ihres Großvaters einzusehen.
Scheinbar willkürlich greift Ulitzkaja Ereignisse aus dem Leben von Noras Eltern und Großeltern, ihrer eigenen Kindheit, ihrer Theaterarbeit, ihres drogensüchtigen Sohnes heraus und arbeitet so an einer Art Generationen-Leiter – auch wortwörtlich bezugnehmend auf den Patriarchen Jakob des Alten Testaments. Die "Jakobsleiter" versinnbildlicht für die Autorin, dass wir ohne das Wissen und die Erfahrungen unserer Vorfahren nicht weiterkommen. Ein mitreißender Roman vor dem Hintergrund der wechselvollen Geschichte der Sowjetunion und ihrer Nachfolgestaaten, geschrieben (und vorzüglich übersetzt von Ganna-Maria Baumgardt) in zupackender, lebendiger und warmherziger Sprache.