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Freundeskreis
Empfehlung im Mai 2021 von Wilhelm Breitenbach
Olga Tokarczuk. Ur und andere Zeiten
Roman
Ur, ein fiktiver Ort im Osten Polens, scheinbar am Ende der Welt, bewacht von den vier Erzengeln Rafael, Uriel, Gabriel und Michael – und bewohnt von den seltsamsten Gestalten: der jungen Genowefa, der Hure Ähre, dem Bösen Mann, dem Freiherrn Popielski, der alten Florentynka ... und vielen Fabelwesen und Geistern.
Erzählt wird die Geschichte Urs durch das turbulente zwanzigste Jahrhundert hindurch, durch zwei Weltkriege, verschiedene politische Regime und fremde Besatzungen. Erzählt werden Geschichten menschlichen Lebens und der bestimmenden gesellschaftlichen, moralischen und religiösen Standards – mit deutlicher Sympathie für die weiblichen Akteurinnen des Tableaus. So tauscht sich die schwangere Genowefa gleich zu Beginn der Geschichte mit der ebenfalls schwangeren Besitzerin der örtlichen Drogerie über das Kinderkriegen in Zeiten des Krieges aus: "Wir brauchen eigentlich alle Töchter. Wenn auf einmal alle Töchter bekämen, wäre Ruhe auf der Welt." Da mussten sie beide lachen.
Erzählt wird schließlich in vielen kurzen Kapiteln, immer mit der gleichen Überschrift: Die Zeit Genowefas, Die Zeit von Misias Engel, Die Zeit des Pawel Boski, Die Zeit der Muttergottes von Jeszkotle ... eine Parabel des menschlichen Schicksals, in der sich Realität und Phantasie mischen, in der sich rationale Beschreibung und magische Träumereien abwechseln. So entwickelt sich ein "Märchen für Erwachsene", einfach und komplex zugleich und nicht nur in Pandemie-Zeiten unbedingt lesenswert.
Die Entscheidung des Nobel-Komitees, Olga Tokarczuk den Nobelpreis für Literatur zu verleihen, ist danach gut zu verstehen.
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