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Freundeskreis

Empfehlung im August 2023 von Monika Steffens
F.C. Delius:
Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde
Es ist Sonntag, der 4. Juli 1954. Die deutsche Fußballelf ist im Endspiel um die Weltmeisterschaft. Ein 11-jähriger Junge, Stotterer, eingeschüchtert von seinem strengen Pastorenvater, erlebt an diesem Sonntag in der Kirche eine kalte Gottespredigt, aber am Nachmittag die mitreißende Fußballreportage Herbert Zimmermanns am Radio. (Generationen von Deutschen haben wohl noch seine ekstatischen Schreie TOR! TOR! TOR! in Erinnerung.) Der Vater hat erlaubt, dass der Junge die Fußballübertragung am Radio hören darf. Dieses Erlebnis ist für den Jungen aufregend, ja, umstürzlerisch, denn die Sprache Zimmermanns kontrastiert absolut mit der des Vaters in der Morgenpredigt.
Toni Turek, der "Fußballgott", der "Teufelskerl", erlöst den Jungen von den Fesseln seines Vaters, "... als alle Gotteszangen von mir abfielen". Es ist ein wahres Erweckungserlebnis, befreiend und verunsichernd zugleich, aber nicht mehr umkehrbar, denn der Junge hat begriffen, was Glück sein kann, hat eine Ahnung davon, was Freiheit bedeutet.
Die Erzählung erschien schon 1996. Ich habe sie erst im letzten Jahr nach Delius' Tod entdeckt und war fasziniert von der ersten Seite an, von der Eindringlichkeit der Sprache gefesselt. Die Sprache ist glasklar und doch so suggestiv, dass man in den Text hineingesogen wird und die Fußballreportage so gespannt verfolgt, als wisse man nichts vom Spielausgang. Aber nie ist der Text sentimental oder selbstmitleidig - er ist klar, mikroskopisch genau und doch tief bewegend.
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