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Empfehlung im Oktober von Wilhelm Breitenbach

Kamel Daoud, Der Fall Meursault - eine Gegendarstellung
Albert Camus' "Der Fremde", eines der Hauptwerke des Existentialismus, wurde 1942 geschrieben und ist Pflichtlektüre an vielen Schulen. Jetzt gibt es einen neuen Grund, Camus' Text heraus zu kramen: "Der Fall Meursault - eine Gegendarstellung".
Der algerische Autor Kamel Daoud (Jahrgang 1970) rollt hier die Geschichte von Moussa auf, jenem namenlosen Araber, der in Camus' Roman am Strand von Algier von einem gewissen Meursault erschossen wurde - angeblich, weil ihn die Sonne blendete. Erzählt wird die Geschichte von Haroun, Moussas jüngerem Bruder, mittlerweile ein alter Mann von fast achtzig Jahren. Er verbringt seine Abende in einer Bar und wartet auf Zuhörer, denen er seine Geschichte erzählen kann: "Und wenn ich mein Buch schon nicht schreiben kann, dann kann ich es dir doch wenigstens erzählen, oder?"
Haroun verweigert sich der Absurdität des Todes seines Bruders und sucht nach einer Erklärung, nach einer Geschichte hinter Moussas Tod. Dabei kommt eine spannende Abhandlung über die Geschichte Algeriens, über die Kolonialzeit, über das Verhältnis zu den französischen Kolonialherren, über die Französische Sprache und über Religion heraus ... und über einen zweiten Mord.
Insgesamt ein interessanter Perspektivwechsel von der europäisch-französischen Perspektive der Kolonialherren hin zu einer arabischen, der bis dahin Unterdrückten und Namenlosen. Ein Klassiker wird neu gelesen. Und es lohnt sich.