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Ausschnitt eines alten Stadtplans von Münster aus dem Jahre 1862
 
Straßenschild Ringoldgasse
 
 
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Jöttenweg

Die Bezirksvertretung Münster-Mitte hat in ihrer Sitzung am 22.5.2012 die Umbenennung des Jöttenwegs in Paul-Wulf-Weg beschlossen.

Karl Wilhelm Jötten wurde am 4.3.1886 in Essen geboren. Er starb am 13.5.1958 in Münster Nach dem

Abitur studierte er zwischen 1906 und 1911 Medizin in Bonn, München, Leipzig und Berlin. Im Jahr 1912 erfolgte die Approbation als Arzt und die Promotion zum Dr. med. Danach fand Jötten Anstellungen als Assistenzarzt in Berlin und später als wissenschaftlicher Assistent an den Hygiene-Instituten in Berlin und Leipzig. Dort habilitierte er sich im Jahr 1920 und wurde 1923 zum a.o. Professor ernannt.

1924 folgte er einem Ruf an die Universität Münster, wo er das Ordinariat für Hygiene und Bakteriologie übernahm und Direktor des Hygiene-Instituts der Universität Münster wurde. Seine Forschungsgebiete umfassten u.a. Tuberkulose, Staublungenforschung, Gewerbehygiene, Soziale Hygiene und Rassenhygiene. Im Jahr 1936 wurde er Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Münster Bis zu seiner Emeritierung hatte Jötten zahlreiche Ämter und Funktionen an Schnittstellen zwischen medizinischer Forschung und Medizinalverwaltung inne: Unter anderem war er zwischen 1931 und 1936 ärztlicher Sachverständiger des Gerichtsärztlichen Ausschusses für die Provinz Westfalen, übernahm 1935 die wissenschaftliche Leitung der serologischen Untersuchungsabteilung der LVA Westfalen in der Heilstätte Hagen-Ambrock und war nach 1948 Leiter der Medizinal-Untersuchungstelle des Kreises Steinfurt.

Jötten galt zu seiner Zeit als einer der führenden deutschen Hygieniker und wurde für seine wissenschaftlichen Leistungen mehrfach ausgezeichnet: So erhielt er unter anderem für seine gewerbehygienischen Arbeiten 1933 den Devoto-Preis der Akademie der Wissenschaften in Mailand und für seine Beiträge zur Staublungenforschung im Jahr 1953 die Cothenius-Medaille der Leopoldina in Halle a. d. Saale. Im folgenden Jahr wurde er mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

Seit Februar 1919 war Jötten Mitglied der DNVP. Im Jahr 1936 wurde er Mitglied der NSDAP (Nr. 2477280), seine Mitgliedschaft wurde auf den 1.5.1933 zurückdatiert. Zudem war er zwischenzeitlich Mitglied im NSLB sowie im NSKK.

Jötten selbst gab im Zusammenhang mit seinem Entnazifizierungsverfahren nach 1945 an, bereits 1933 einen Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP gestellt zu haben, der 1934 jedoch zunächst abgelehnt wurde. Er habe einerseits als Katholik als „politisch unzuverlässig gegolten“ und sich andererseits durch seine Kritik an der Unwissenschaftlichkeit zahlreicher rassenhygienischer Forschungsbeiträge Feinde in der Reichsärztekammer gemacht. Jötten sah sich in erster Linie als Opfer des NS-Regimes, das es ihm verwehrt habe, Rufe an größere Universitäten (Berlin und Leipzig) zu erhalten.

Bereits im Juli 1933 veröffentlichte Jötten einen Artikel in der Fachzeitschrift „Die medizinische Welt“, in dem er es begrüßte, dass durch den „Sieg des Nationalsozialismus“ neue Möglichkeiten zu einem „stärkeren Ausbau der Rassenpflege an den deutschen Hochschulen“ entstünden. Um „das Ziel der geistigen Durchdringung der Jugend mit dem deutschen Rassegedanken ohne Verzug in die Tat umsetzen zu können“, sah er insbesondere die Ordinariate und Institute für Hygiene in der Pflicht. Als zentrale Lehreinheiten eines von ihm in Vorschlag gebrachten Schulungsprogramms für Studenten aller Fachrichtungen, insbesondere aber angehender Ärzte, nannte Jötten u.a. „Die Belastung des Staates durch die erblich Untauglichen“, „Sozialpolitik und völkische Rassenpflege“, „Die rassenhygienischen Aufgaben des Arztes“ sowie „Über Technik und Indikationen der rassenhygienischen Sterilisierung“. Jöttens Beitrag über „Die Rassenkunde und Rassenhygiene im Unterricht an den deutschen Hochschulen“ zeigt, dass er das Forschungsfeld Rassenhygiene als Chance begriff, sich wissenschaftlich und wissenschaftspolitisch zu profilieren.

Jötten vertrat fortan die „Rassenhygiene“ an der Universität Münster in Forschung und Lehre und positionierte sich in der Frühphase des NS-Regimes als bekannter Vertreter dieses Fachgebiets. Er las u.a. über „Rassenhygiene und Eugenik“. Zudem schuf er ein Zentrum der erbbiologischen Erfassung von Hilfsschülern. In diesem Zusammenhang betreute er über 20 erbbiologische Dissertationen und publizierte auch selbst.

Als Ergebnis umfangreicher Forschungen an 4.300 Hilfsschulkindern befürworteten Jötten und sein Schüler Hans Reploh auf dem Internationalen Kongreß für Bevölkerungswissenschaft 1935 in Berlin weitreichende Maßnahmen zur Zwangssterilisation: „Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit intensiver Gegenmaßnahmen. Andererseits müssen aber solche, bei denen die Vererbung der Erbanlage unerwünscht ist, aus dem Fortpflanzungsprozeß ausgeschlossen werden. Die Wege für diese Arbeit sind im Deutschen Reich durch das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses [...] vorgezeichnet. Es ist durchaus richtig, daß unter den Erbkranken, die der Sterilisierung unterliegen, die Schwachsinnigen an erster Stelle genannt werden. Richtig ist weiter, daß die Sterilisierung nicht das Vorliegen von schwerem Schwachsinn zur Voraussetzung hat. Wie wir gesehen haben, ist es im Gegenteil sehr wesentlich, daß gerade diejenigen Schwachsinnsformen zur Unfruchtbarmachung gelangen, bei denen ein leichter Defekt Fortpflanzung und Vererbung erwarten läßt. Das trifft in besonderem Umfange für die Debilität zu, zumal bei dieser besonders häufig mit einer Vererbung des Schwachsinns zu rechnen ist. Außerdem bieten sich bei den Schwachsinnigen besonders gute Voraussetzung für eine rechtzeitige Durchführung der Sterilisation insofern nämlich, als der weitaus größte Teil vor Eintritt in das fortpflanzungsfähige Alter an Hilfsschulen frühzeitig genug erfaßt werden kann.“(Jötten/Reploh 1936, S. 735)

Somit trug Jötten dazu bei, die Zwangssterilisationen von etwa 100.000 Hilfsschulkindern zu legitimieren, die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland durchgeführt wurden.

Quellen und Literatur Universitätsarchiv Münster: Bestand 5 Nr. 639, Bestand 10 Nr. 3271, Bestand 52 Nr. 30 Landesarchiv NRW – Hauptstaatsarchiv Düsseldorf: Bestand NW 1038/3020, Bestand HSTAD NW O 868 Bundesarchiv Berlin: Kartei aller Hochschullehrer (R 4901); Reichsarztregister (R 9347 Kassenärztliche Vereinigung Deutschlands) Ehem. BERLIN DOCUMENT CENTER3200/J 0044 (NSDAP-Ortskartei) Ehem. BERLIN DOCUMENT CENTER31XX/K 0099 (NSDAP-Reichskartei)

Jan Nikolas Dicke: Eugenik und Rassenhygiene in Münster, Berlin 2004 Hans-Christian Harten/Uwe Neirich/Matthias Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reiches. Biobibliographisches Handbuch, Berlin 2006. Karl Wilhelm Jötten: Die Rassenkunde und Rassenhygiene im Unterricht an den deutschen Hochschulen, Die Medizinische Welt 7/1933, S. 1080-1081. Karl Wilhelm Jötten/Hans Reploh: Erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschulkindern, in: Hans Harmsen/Fritz Lohse (Hg.): Bevölkerungsfragen. Bericht des Internationalen Kongresses zur Bevölkerungswissenschaft, München 1936. S. 730-736. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945?, Frankfurt a. M. 2003, S. 288.