A bis Z

Ausschnitt eines alten Stadtplans von Münster aus dem Jahre 1862
 
Straßenschild Ringoldgasse
 
 
A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W Y Z 

Suche

Der Alerdinck-Plan

Der Alerdinck-Plan von 1636 zeigt die Westfalenmetropole mit vielen anschaulichen Details

Eine prächtige Visitenkarte Münsters

Foto

Die historische Karte von Everhard Alerdinck von 1636

Im Jahre 1634 begann Everhard Alerdinck mit der Zeichnung eines Planes der Stadt Münster aus der Vogelschau. Mit diesem nun fast 400 Jahre alten Stadtplan verdanken wir Alerdinck eine ganz wichtige Geschichtsquelle der Stadt. Der Kartograph Everhard Alerdinck war der dritte Sohn des Notars Henrich Alerdinck. Er wurde um 1598 in Münster geboren. Im Alter von etwa zwölf Jahren begann er am 1. Januar 1611 eine Ausbildung bei dem Maler Nicolaus tom Ring, dem Sohn des Hermann tom Ring und Enkel von Ludger tom Ring dem Älteren. Außer als Maler arbeitete sein Lehrherr auch als Kartograph. Alerdinck half schon während seiner Lehrzeit nebenbei dem Kartographen Dr. Johannes Gigas (1582-1637) bei der Vermessung des Bistums Münster. Dessen große Schaukarte des Fürstbistums erschien 1616 bei Lambert Raesfeld in Münster. Ab 1617 besuchte Alerdinck das Gymnasium Paulinum; dort dürfte er bei den Jesuiten weiteren guten Unterricht in Geometrie und Kartografie bekommen haben. Als 1622 sein Lehrherr Nicolaus tom Ring starb, heiratete er dessen Witwe Anna tom Ring geb. tor Mollen und übernahm die tom Ring'sche Werkstatt. Am 18. Oktober 1622 wurde er als Meister in die Maler-Gilde aufgenommen.

Im Jahre 1634 hatte Alerdinck eine genauen Vermessung und die Vorzeichnung eines Planes der Stadt Münster fertig gestellt. In einen Straßenplan aus der Vogelperspektive sind in Schrägsicht von Süden alle Gebäude der damaligen Stadt innerhalb der Stadtmauern eingetragen. Geschickt ist dabei jede perspektivische Verkürzung zum Hintergrund hin vermieden. Der Plan ist genordet, eine Darstellungsweise, die sich damals durchaus noch nicht durchgesetzt hatte. Am 7. Dezember 1634 wandte er sich dann schriftlich an den Rat der Stadt Münster und bat um einen Druckkostenzuschuss zur Herstellung der Druckplatten und zum Kauf des benötigten Papiers. Und wirklich erhielt er zunächst 25 Reichstaler, zwei Jahre später noch einmal 25, und aus der Kämmereikasse weitere 40 Reichstaler. Zwei Jahre später, 1636, konnte er dem Rat einen Abzug überreichen und erhielt "zur Verehrung", wie es hieß, noch einmal 3 Reichstaler. Auch vom Schohaus, dem Versammlungshaus der Gesamtgilde in Münster, erhielt Alerdinck 10 Reichstaler.

Der Plan ist auf fünf Kupferplatten graviert und dann zusammengeklebt. Es wäre technisch damals nicht möglich gewesen, die große Karte auf einer einzigen Kupferplatte zu gravieren, und keine Druckerpresse wäre groß genug gewesen, ein Blatt von etwa 110 mal 110 Zentimeter zu drucken.

Der Alerdinck-Plan umfasst das gesamte Stadtgebiet innerhalb der damaligen Stadtmauer. Er ist dabei von einer bewundernswerten Genauigkeit. Wenn man einen heutigen Stadtplan im gleichen Maßstab darüber legt, findet man kaum Abweichungen. Einige Straßen sind breiter eingetragen als sie damals waren; Alerdinck hätte sonst nicht beide sich gegenüber liegenden Häuserreihen unterbringen können.

Dargestellt sind alle Gebäude der Stadt, die 1636 vorhanden waren. Deutlich ist an dem Plan die Geschichte der Stadt abzulesen: Im Zentrum der Dom, um den sich die Domburg legt und als weiterer Ring der Straßenzug Rothenburg - Prinzipalmarkt - Spiekerhof. Die Stadtmauer ist 1636 die Grenze der Bebauung. Unbebaut bleibt in diesem Gebiet nur die Aa-Niederung, die regelmäßig von Hochwässern überschwemmt wurde. Die Wiesen rechts und links der Aa wurden als Bleichen genutzt, wo das fertig gewebte Leinen unter ständigem Feuchthalten von der Sonne vom grauen Ursprungszustand zu seiner weißen Endqualität gebleicht wurde.

Foto

Das Zentrum der Stadt mit dem Dom und dem Spiekerhof

Statt Straßennamen sind auf der Karte nur Zahlen eingetragen, auch wichtige Gebäude sind durchnummeriert. Die normalen Wohnhäuser sind zu Haus-Symbolen vereinfacht. In einer Kartusche unten rechts im Zwickel des Planes sind die Namen zu den jeweiligen Zahlen aufgeführt. In acht Fällen haben sich die Straßennamen gegenüber damals geändert: Die damalige Moder Evenstege heißt etwa heute Marieveengasse, die Hundtstege heute Clemensstraße, um nur zwei Beispiele zu nennen. Gebäude, die erst nach 1636 entstanden, sind auf dem Plan natürlich noch nicht zu finden, so in der Salzstraße etwa Dominikanerkirche, Erbdrostenhof und Clemenskirche. Einige Gebäude finden sich auf dem Plan, die es heute nicht mehr gibt, zum Beispiel die Jakobikirche auf dem Domplatz, das Hölzerne Wams vor der Lambertikirche oder der Drubbel. Die Stadt ist umgeben von ihrem eindrucksvollen Befestigungsring. Von innen nach außen sind dies zunächst die Stadtmauer, dann der innere Graben, davor der Wall, die heutige Promenade und vor diesem noch der äußeren Graben; in genau dieser Abfolge hat der sich über 200 Jahre erstreckende Ausbau der Befestigungsanlagen vollzogen.

Um diese Anlagen noch eindrucksvoller zu machen, hat Alerdinck bei der Wiedergabe des Befestigungsringes den Maßstab gewechselt und den Befestigungsgürtel fast doppelt so breit dargestellt, als er in Wirklichkeit war. Dieser Wechsel des Maßstabes betrifft nicht nur die Breite von Gräben und Wall, sondern auch die Größe der einzelnen Bauten. Genaues Nachmessen zeigt, dass Buddenturm und Zwinger, die einzigen bis heute erhaltenen Türme der Befestigungen, sowohl in ihrem Durchmesser als auch in ihrer Höhe doppelt so groß dargestellt sind, als sie wirklich sind.

Foto

Detail der Stadtbefestigung

Ist Alerdinck aus künstlerischen Gesichtspunkten so verfahren, um das Häusermeer schön und harmonisch zu umkränzen, oder sollte seine Darstellung möglichen Angreifern schon im Voraus den Mut nehmen, die so stark befestigte Stadt überhaupt anzugreifen,·weil sie solche Befestigungen kaum würden bezwingen können? Das Jahr des Druckes des Plans, 1636, ist immerhin fast die Mitte des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648 ); und während der ersten Hälfte dieses Krieges war Münster bereits zweimal von feindlichen Truppe bedroht worden: Von einem Angriff auf Münster durch Christian von Braunschweig, "den tollen Christian", hatte sich die Stadt 1622 nur durch eine Zahlung von 30 000 Talern freikaufen können, und 1633/34 konnte der Angriff hessischer Truppen nur mit Mühe und viel Glück abgewehrt werden.

Wir wissen nicht, wie viele Exemplare Alerdinck 1636 gedruckt hat. Lediglich zwei Exemplare der Karte haben sich bis heute erhalten, beide beschädigt und in einem so fragilen Zustand, dass sie nicht mehr reproduzierbar sind. 1930 unternahm es deshalb der Lithograph und technische Stadtsekretär des münsterischen Kataster- und Vermessungsamtes Heinrich Guttermann, eine Nachzeichnung anzufertigen. Unter dieser vermerkte er: "Neuzeichnung nach dem Originale im Besitze des Herrn von und zur Mühlen / im südöstlichen Teil ergänzt nach dem Original im Landesmuseum der Provinz Westfalen - Hergestellt 1930 im Stadtvermessungsamt Münster i. W. von Heinrich Guttermann". Guttermann kopierte bei seiner Nachzeichnung auch den Schmuckrahmen aus Blumenranken, in denen sich Libellen und Vögel tummeln, der bei dem Exemplar des Museums fehlt. Eine genaue Untersuchung dieses Rahmens durch Karl-Heinz Kirchhoff zeigte, dass dieser nicht zu dem ursprünglichen Plan gehörte, sondern von einem vermutlich schadhaften Exemplar einer anderen, unbekannten Karte abgeschnitten wurde, um den Alerdinck-Plan dann oben und an beiden Seiten damit einzurahmen. "MONASTERIUM WESTFALIAE METROPOLIS" war als unterer Rand der einen Vorlage lediglich handschriftlich nachgetragen; Guttermann fügte diesen Titel in Kapitalen als unteren Rand hinzu.

Bekrönt wird der Plan oben von zwei Wappen: Links das Wappen des Fürstbistums Münster: Drei Balken rot-gold-rot; rechts das Wappen der Stadt rot-gold-silber. In der Mitte steht das Wappen von Fürstbischof Ferdinand I. von Bayern (1612-1650), bekrönt vom Kurhut. Ferdinand war als gleichzeitiger Erzbischof von Köln auch Kurfürst.

In der linken unteren Ecke widmete Alerdinck in einer Kartusche sein Werk in lateinischer Sprache - Latein war damals die Umgangssprache der Gebildeten - zunächst seinem Landesherrn "Ferdinand I., dem Erzbischof und Kurfürsten von Köln, Bischof von Münster, Herzog von Bayern; den Landständen des Landes sowie dem Rat und den Bürgern von Münster, seinem allergnädigsten Fürsten sowie seinen huldreichen Herren". Schon bald nach Erscheinen wurde der Plan 1647 von Matthäus Merian für seine Topographia Germaniae kopiert. Bekannter wurde der Beckenstein-Plan, auf dem in eine Kopie des Alerdinck-Planes die Quartiere der Gesandten eingetragen sind, die zu den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden von 1643-1648 nach Münster angereist waren. Den Plan der Belagerung der Stadt Münster durch Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen im Jahre 1657 zeichnete Nikolaus Knickenberg, Alerdinck steuerte eine überarbeitete Version seines Planes von 1636 bei und stach den Plan in Kupfer. Etwa im Februar 1658 lag dieser Plan gedruckt vor. Wenige Monate später, am 11. Mai 1658, starb Everhard Alerdinck.

Die Bedeutung des Alerdinck-Planes für die Geschichte der Stadt Münster ist kaum zu überschätzen. Beim Wiederaufbau der Innenstadt Münsters nach dem Krieg konnten manche Gebäude, zum Beispiel Servatiikirche und Petrikirche, mit Hilfe ihrer Abbildung auf dem Alerdinck-Plan rekonstruiert werden. Bei allen archäologischen Grabungen im Gebiet der Altstadt wird der Plan herangezogen, um zu überprüfen, mit welcher Situation früherer Bebauung des zu untersuchenden Gebietes zu rechnen ist.

Anhand von schriftlichen Urkunden wie Testamenten und Prozessakten kann man den Plan sowohl rückwärts als auch vorwärts fortschreiben. So bildet der Alerdinck-Plan zum Beispiel die Grundlage der Stadtmodelle von 1533 als auch der späteren im Stadtmuseum, die in ihrer Grundstruktur alle auf die Aufmessungen von Everhard Alerdinck zurückgehen.

Autor: Otto-Ehrenfried Selle
Quelle: Westfälische Nachrichten, Auf Roter Erde, Heimatblätter für Münster und das Münsterland, Juni 2020

 
  • Nach dem Kartographen Everhard Alerdinck ist die Alerdinkstraße benannt.