Aktuelle Diskussion um Straßenbenennungen

Ausschnitt eines alten Stadtplans von Münster aus dem Jahre 1862
 
Straßenschild Ringoldgasse
 
 

Die Neubenennung und Umbenennung von Straßen, Wegen und Plätzen, Grün- und Parkanlagen sowie Schulen ist Aufgabe der Bezirksvertretungen. Nur bei besonders bedeutenden Straßennamen entscheidet der Rat, zum Beispiel bei Straßen, die nach Partnerstädten der Stadt Münster, nach Ehrenbürger*innen, Oberbürgermeister*innen, Oberstadtdirektoren oder Träger*innen der Paulus-Plakette benannt werden sollen. Auch wichtige Straßen mit überbezirklicher Bedeutung fallen in die Zuständigkeit des Rats. So steht es in der Hauptsatzung.

Auch Bürger*innen oder Mitglieder der Ratsfraktionen können Vorschläge für Neu- oder Umbenennungen machen. Das erfolgt im Rahmen der Anregungen und Beschwerden gemäß § 24 Gemeindeordnung NRW.

Aktuell liegen zu den folgenden Straßen Anträge auf Umbennenung vor:

Von der Bezirksvertretung Mitte an den Rat herangetragen:

  • Andreas-Hofer-Straße
  • Manfred-von-Richthofen-Straße
  • Ostmarkstraße

Zuständigkeit der Bezirksvertretung Hiltrup:

  • Heideggerstraße

Zuständigkeit der Bezirksvertretung Mitte:

  • Admiral-Scheer-Straße
  • Admiral-Spee-Straße
  • Langemarckstraße
  • Otto-Weddigen-Straße
  • Prinz-Eugen-Straße
  • Skagerrakstraße
  • Tannenbergstraße

Zuständigkeit der Bezirksvertretung Südost:

  • Lüderitzweg
  • Woermannweg

18. August 2022: Ein Antrag nach § 24 Gemeindeordnung (GO) aus 2022 wird in der Sitzung der Bezirksvertretung Hiltrup vorgetragen. Er bittet darum, dem Vorbild der Stadt Freiburg zu folgen und die Heideggerstraße umzubenennen. Als Grund wird die Nähe des bekannten Philosophen Martin Heidegger zum Nationalsozialismus angegeben.

Die Verwaltung greift den Vorschlag zur Umbenennung der Heideggerstraße auf und schlägt als zukünftigen Namen Marga-Niedenführ-Straße vor: Beschlussvorlage zur Umbenennung der Heideggerstraße. Es folgt eine öffentliche Diskussion.

14. Oktober 2022: Es gibt einen weiteren Antrag nach § 24 GO mit der Anregung, die Heideggerstraße nicht umzubenennen. Ersatzweise soll statt eines Personenbezugs der alte Name Südstraße verwendet werden.

15. November 2022: In der Sitzung der Bezirksvertretung Hiltrup wird nicht über die Vorlage der Verwaltung diskutiert, sondern über den Antrag der CDU-Fraktion in der BV-Hiltrup "Heideggerstraße in Hiltrup / Keine Umbenennung ohne Beteiligung der Anwohner (Antrag der CDU-Fraktion vom 22.10.2022, A-H/0023/2022)". Einstimmig (bei einer Enthaltung) beschließt die Bezirksvertretung, diesem Antrag zu folgen, eine Informationsveranstaltung für Bürger*innen durchzuführen und die Verwaltung mit einer Anwohner*innenumfrage zu beauftragen.

27. Februar 2023: Zu dieser Informationsveranstaltung in der Stadthalle Hiltrup erscheinen rund 65 Bürger*innen, die größtenteils in der Heideggerstraße wohnen. Das Vermessungs- und Katasteramt erläutert zusammen mit dem Stadtarchiv das Verfahren einer Straßenumbenennung und ordnet Martin Heidegger kritisch ein.

März 2023: Die Eigentümer*innen und Anwohner*innen der Heideggerstraße werden befragt. Eine große Mehrheit spricht sich gegen eine Umbenennung aus.

20. April 2023: Die Bezirksvertretung Hiltrup vertagt die Entscheidung, da die Verwaltung aktuell einheitliche Leitlinien für Ehrungen im Kontext von Straßenbenennungen in der gesamten Stadt entwickle und dem Rat der Stadt sowie den Bezirksvertretungen zur Abstimmung vorlegen wolle.

24. Januar 2023: Zwei Anträge zu Straßenumbenennungen werden in der Sitzung der BV Mitte gestellt.

Antrag aller Fraktionen der BV Mitte und den Einzelvertretern von FDP und Volt (A-M/0001/2023): Es wird die Umbenennung der Admiral-Scheer-Straße beabsichtigt und gegenüber dem Rat angeregt, die Ostmarkstraße umzubenennen.

Antrag von den Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD sowie dem Einzelvertreter von Volt (A-M/0002/2023): Die Umbenennung der Admiral-Spee-Straße, der Otto-Weddigen-Straße, der Prinz-Eugen-Straße, der Skagerrakstraße, der Tannenbergstraße und der Langemarckstraße wird gefordert. Weiterhin wird gegenüber dem Rat angeregt, die Manfred-von-Richthofen-Straße und die Andreas-Hofer-Straße umzubenennen.

Beide Anträge werden mehrheitlich von der BV Mitte angenommen. Von den Umbenennungen aller zehn Straßen sind mehr als 2.500 Anwohner*innen betroffen.
In beiden Anträgen wird die Verwaltung beauftragt, die Anwohner*innen und Eigentümer*innen zu einer Bürgerveranstaltung in der näheren räumlichen Umgebung einzuladen. Auf dieser Veranstaltung sollen die anstehende Entscheidung über die Umbenennung und die Ergebnisse der intensiven internen Beratung transparent gemacht werden. Dazu sollen Vertreter*innen sämtlicher Fraktionen sowie die Einzelvertreter*innen der Bezirksvertretung Mitte eingeladen werden. Die Verwaltung soll das weitere Vorgehen beschreiben und die Auswirkungen auf die Anwohner*innen und Eigentümer*innen der betroffenen Straßen erläutern.
Weiterhin wird die Verwaltung beauftragt, zeitnah geeignete Möglichkeiten dafür zu schaffen, dass Vorschläge für neue Straßennamen gesammelt werden können.
Erst danach soll der endgültige Umbenennungsbeschluss der Bezirksvertretung Mitte gefasst werden.

8. Februar 2022: Erste Absprachen werden in der Sitzung des Ältestenrates getroffen.

18. Januar 2022: Der Bericht wird der BV Mitte vorgelegt: Prüfung der in der Stadt Münster, Bezirk Mitte, in der Zeit des Nationalsozialismus vergebenen Straßennamen
Das Gutachten stuft als Straßennamen mit einem dichten Bezug zur NS-Ideologie ein: Admiral-Scheer-Straße, Admiral-Spee-Straße, Gorch-Fock-Straße, Langemarckstraße, Manfred-von-Richthofen-Straße, Ostmarkstraße, Otto-Weddigen-Straße, Skagerrakstraße und Tannenbergstraße. Sieben der neun Straßen sind bezirkliche Straßen. Die Manfred-von Richthofen-Straße (im Abschnitt zwischen Hohenzollernring und Andreas-Hofer-Straße) und die Ostmarkstraße sind nach Anlage 1 der Hauptsatzung Gemeindestraßen mit überbezirklicher Bedeutung. Für diese beiden Straßen besteht keine Entscheidungszuständigkeit der Bezirksvertretung (vgl. §21 Abs.1 Ziffer 11 und Abs. 2 Ziffer 9 Hauptsatzung). Der Rat der Stadt ist zuständig.

Die BV Mitte hat in einem zunächst internen, parteiübergreifenden Verfahren über das weitere Vorgehen beraten.

3. November 2021: Fertigstellung des Berichts von Dr. Alexander J. Schwitanski unter Mitarbeit von Hannah K. Ruff.

8. Dezember 2020: Die Bezirksvertretung Mitte beantragt einen umfassenden Bericht über die Überprüfung von Straßennamen, die in den Jahren von 1933 bis 1945 entstanden sind. Anders als bei älteren Überprüfungen ging es dabei nicht mehr um Personen, die in der Zeit des Nationalsozialismus lebten, sondern um die Frage, ob die NS-Ideologie in den Straßenbenennungen (Beispiel „Danziger Freiheit“, umbenannt 2020) sichtbar würde.

Prüfbericht zu Straßen aus der NS-Zeit im Bereich der BV Münster Mitte (von A. Schwitanski, 2021) (pdf, 899 KB)

In mehreren Anträgen nach § 24 GO wird darum gebeten, den Woermannweg und den Lüderitzweg in Gremmendorf umzubenennen.

28. Februar 2023: Der letzte Antrag wird in der Sitzung der BV-Südost vorgetragen. In ihm heißt es: "Mit Adolf Lüderitz und Adolph Woermann werden Personen geehrt, die an Kolonialverbrechen des Deutschen Kaiserreiches beteiligt waren." Zur Sitzung liegt eine Stellungnahme des Stadtarchivs zur Umbenennung des Lüderitzwegs und des Woermannwegs vor. Die Inhalte lassen sich auf dem Portal „koloniale Spuren in Münster“ des Stadtarchivs nachvollziehen: www.stadt-muenster.de/kolonialspuren.
Bezirksbürgermeister Peter Bensmann bittet bezüglich einer möglichen Umbenennung um ein Meinungsbild der Bezirksvertretung. Nach kurzer Aussprache besteht Konsens, keine übereilte Entscheidung zu treffen, die Bürger*innenschaft einzubeziehen und zunächst im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung alle Betroffenen mitzunehmen. Erst anschließend solle über eine mögliche Umbenennung beraten und entschieden werden.

7. Oktober 2021: In der BV West wird ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen/GAL (A-W/0064/2021) eingebracht. Der Antrag fordert, dass die Straßennamen im Stadtbezirk West historisch-wissenschaftlich analysiert werden und geklärt wird, ob die Straßennamen das Ziel haben, die NS-Zeit in Erinnerung zu halten und inwiefern sie mit dem Kolonialismus und dessen Verbrechen zusammenhängen. Diese Prüfung soll durch das Stadtarchiv oder eine*n externe*n Historiker*in erfolgen. Anschließend sollen die Einwohner*innen in Münsters Westen diskutieren und bewerten. Die Verwaltung soll Vorschläge zur Ausgestaltung der Diskussion machen: Antrag von Bündnis90/Die Grünen/GAL Münster, Fraktion in der Bezirksvertretung West.

14. Juni 2023: Der Antrag wird vom Rat an den Hauptausschuss verwiesen.

5. Juni 2023: Die CDU Fraktion im Rat stellt den Antrag "Erläuterung vor Entfernung - Umstrittene Straßennamen als begehbares Geschichtsbuch nutzen" (A-R/0024/2023). In dem Antrag wird die Verwaltung beauftragt, "ein 'begehbares Geschichtsbuch' mit dem Ziel zu realisieren, eine Auseinandersetzung mit den umstrittenen Straßennamen zu ermöglichen." Außerdem soll der Rat zur Kenntnis nehmen, dass schon 2010/11 alle Straßennamen analysiert und einige auch geändert wurden. "Entsprechend der Empfehlung der 'Kommission Straßennamen' sollen die umstrittenen Straßennamen nicht entfernt, sondern einer kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nach dem Prinzip 'Erläuterung vor Entfernung' unterzogen werden." Der Rat soll außerdem beschließen, dass eine Umbenennung nur mit Zustimmung der Anwohnenden erfolgen kann.

15. Februar 2023: Die Bezirksvertretung Münster-Mitte stellt Anträge an den Rat zur Umbenennung der Ostmarkstraße (ABV/0003/2023), der Manfred-von-Richthofen-Straße und der Andreas-Hofer-Straße (ABV/0003/2023). Die Anträge werden vom Rat an den Hauptausschuss verwiesen. Details zu den Anträgen gibt's unter "Anträge der Bezirksvertretung Münster-Mitte".
Eine historisch-kritische Einordnungen der betroffenen Straßennamen bietet ein Gutachten, das im Auftrag der Bezirksvertretung Mitte 2020 erstellt wurde.

Prüfbericht Münster Mitte (pdf, 899 KB)

Zurzeit sind alle Anträge auf Umbenennungen ausgesetzt, um sich in Politik und Verwaltung stadtweit auf gemeinsame Grundsätze zu Ehrungen im öffentlichen Raum zu verständigen. 

Weiteres Vorgehen

Zeitlich nah beieinander haben 2021 die BV Mitte und 2022 die BV West umfassende Prüfaufträge (aller) Straßennamen in ihren Bezirken auf Bezüge zum Nationalsozialismus/Kolonialismus an die Verwaltung gegeben. Dazu kommen seitdem Einzelprüfaufträge als Folge von Bürgeranregungen nach §24 GO. Die Politik äußerte weiterhin Wünsche nach der Entwicklung von Diskussions- und Informationsformaten, der Einbindung von Schulen, Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie die Realisierung von Ausstellungen oder vergleichbaren Informationsangeboten.

Neben dem großen Aufwand durch die hohe Zahl der Prüfungen und durchzuführenden Informationsveranstaltungen wollen die politischen Parteien und die Verwaltung ein einheitliches Verfahren für alle Benennungsstreitfälle garantieren. Hierfür braucht es Diskussionen mit der Bevölkerung, vor allem mit den für die Umbenennungen zuständigen politischen Gremien. In den Bezirksvertretungen und im Rat gibt es unterschiedliche Mehrheitsverhältnisse. Idealerweise wird ein parteiübergreifender Konsens gefunden. Inwieweit das Votum von Anwohner*innen besondere Berücksichtigung finden kann, muss auf Grundlage der rechtlichen Bedingungen und der politischen Forderungen geprüft werden.

Die Frage, wer zukünftig noch mit einem Straßennamen geehrt werden soll, ist eine politische Entscheidung, die langfristig Bestand haben muss. Die im Vorfeld geführten Diskussionen sollten deshalb mit dem Ziel eines überparteilichen Konsenses aller demokratischen Parteien geführt werden.

In Politik und Verwaltung ist so der Wunsch entstanden, Leitlinien zu dem Thema zu formulieren und durch den Rat und die Bezirksvertretungen beschließen zu lassen. Die Leitlinien sollen Grundsätze, Kriterien und Verfahrenswege regeln, nach denen Ehrungen im öffentlichen Raum, wozu auch die Benennung von Straßen zählen, erfolgen sollen. Ein Ziel ist, dass Straßennamen anhand der Leitlinien einer Prüfung unterzogen werden können und eine Entscheidung für oder gegen einen Straßennamen damit objektiviert und transparent wird. Ebenso soll für die Art und Weise der Bürgerinformation und -beteiligung ein einheitlicher Rahmen geschaffen werden.

Eine Beschlussvorlage zu "Ehrungen im öffentlichen Raum" ist durch das Stadtarchiv in Zusammenarbeit mit dem Vermessungs- und Katasteramt in Vorbereitung. Im Einvernehmen mit Politik und Verwaltung soll dieser Prozess abgewartet werden, bevor weitere Diskussionen und Entscheidungen in den Gremien und Bürgerinformationen stattfinden und Bürgerbeteiligungsformate entwickelt werden. Mit einem Beschluss zu der Vorlage "Ehrungen im öffentlichen Raum" ist im 4. Quartal 2023 zu rechnen. Danach können die Verfahren zu den Straßenumbenennungen weitergeführt werden.