Ida Dietrich

Illustration: Ida Dietrich

Ida Dietrich 1911-1944

 

"Wo ich keine Lust habe, da bleibe ich nicht. [...] wenn mir einer etwas zu Leide sagt, das kann ich nicht haben."

Ida Dietrich zitiert in einem ärztlichen Gutachten, April 1934 (Archiv Landeswohlfahrtsverband Hessen, K 12, Nr. 2935).

Ida Dietrich kommt am 25. Juni 1911 als Tochter eines Ziegeleiarbeiters in Wolbeck bei Münster zur Welt. Trotz einer geistigen Behinderung besucht sie die örtliche Volksschule. Mehrfach muss sie einige Klassen wiederholen. Mit dreizehn Jahren verlässt sie ohne Abschluss die Schule und geht bei einem Bauern in Stellung. Bei der Arbeit hat sie Probleme, die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen und gerät deshalb häufig in Schwierigkeiten. Immer wieder verlässt sie in den kommenden Jahren kurzerhand ihre Stellungen.

Wegen "auffälligen" Verhaltens in Heilanstalt eingewiesen

Aufgrund ihres angeblich "auffälligen", "unbeherrschten" Verhaltens wird Ida Dietrich 1934 in die Provinzialheilanstalt Marienthal in Münster eingewiesen. Drei Monate lang wird sie dort beobachtet und untersucht, ehe man sie auf Wunsch ihrer Mutter nach Hause entlässt. Noch am Tag ihrer Beurlaubung zeigt die Anstaltsleitung Ida Dietrich dem Gesundheitsamt in Münster als "erbkrank" an und beantragt wenig später beim Erbgesundheitsgericht ihre "Unfruchtbarmachung". Das Gericht entspricht dem Antrag. In der Universitäts-Frauenklinik wird Ida Dietrich Ende 1934 sterilisiert.

Knapp fünf Jahre später wird Ida Dietrichs Geisteszustand auf Ersuchen des Wohlfahrtsamtes amtsärztlich untersucht. Nach ihrer Entlassung aus der Provinzialheilanstalt hatte sie weiterhin ihre Stellen meist nach nur kurzer Zeit aufgegeben und war phasenweise durch das Wohlfahrtsamt unterstützt worden. Ihre letzte Beschäftigung in einem Wirtshaus war ihr fristlos gekündigt worden. Der Amtsarzt stellt nun ihre Arbeitsunfähigkeit und Anstaltspflegebedürftigkeit fest. "Durch Behandlung und Erziehung" sei "vielleicht eine Besserung zu erzielen", so die Prognose.

Dauerhafte Unterbringung

Anfang 1940 kommt Ida Dietrich erneut in der Provinzialheilanstalt Münster zur Aufnahme. Während man sie mit Hausarbeiten an einen geregelten Arbeitsalltag gewöhnen will, begegnet man ihren emotionalen Anpassungsproblemen mit Mitteln der Schocktherapie. In Reaktion auf widersetzliches, "aufsässiges" Verhalten wird Ida Dietrich im Laufe des Jahres 1940 mindestens sechsmal das Medikament Cardiazol verabreicht. Die dadurch hervorgerufenen schweren Krampfanfälle werden begleitet von Wahnvorstellungen, Angstzuständen und Ohnmacht.

Ida Dietrich fügt sich. Laut ihrer Krankenakte arbeitet sie in den folgenden Jahren fleißig und hofft darauf, irgendwann entlassen zu werden und nach Hause zu ihrer Familie zurückkehren zu können, von der sie regelmäßig in der Anstalt besucht wird. Um die Jahreswende 1942/43 herum, werden bei Ida Dietrich erstmals Sinnestäuschungen diagnostiziert. Ihre Arbeitsleistung lässt indessen nach.

Vernachlässigt und fernab von Zuhause

Mitte 1943 wird die Provinzialheilanstalt Münster kriegsbedingt teilgeräumt. Per Sammeltransport wird Ida Dietrich in die Heilanstalt Scheuern bei Nassau an der Lahn überführt. Besuch von ihrer Familie kann sie dort aufgrund der großen Entfernung nicht mehr bekommen. Knapp neun Monate nach ihrer Verlegung nach Scheuern vermerkt dort der behandelnde Arzt, dass sie teilnahms- und beschäftigungslos auf der Station sitze. Arbeit verrichte sie keine.

Im Spätsommer 1944 wird auch die Anstalt Scheuern geräumt und Ida Dietrich in die nahegelegene Landesheilanstalt Hadamar bei Limburg an der Lahn verlegt. Bald nach ihrer Ankunft in Hadamar wird sie auf „Hungerkost“ gesetzt. Sie erhält fortan nur noch fett- und eiweißfreie Nahrung. Pflegerische oder medizinische Maßnahmen sind hier nicht mehr vorgesehen.

Am 8. November 1944 stirbt Ida Dietrich im Alter von 33 Jahren an den Folgen systematischer Unterernährung, Vernachlässigung und überdosierter Medikamente. Ihr Leichnam wird auf dem Anstaltsfriedhof in einem Massengrab verscharrt.