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Erinnern nach 2000
Ein FrauenOrt zur Erinnerung an Catharina Linck alias Anastasius Rosenstengel
Standort
Aaseitenweg, Mauer
Lage im Stadtplan
Initiatorinnen
Arbeitsgruppe Frauengeschichte Münster zusammen mit der Stadt Münster (Amt für Gleichstellung, Stadtarchiv, Städtische Denkmalbehörde) und dem Projekt FrauenOrte NRW des FrauenRats NRW e.V. in Folge eines Antrags der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Ausschuss f. Gleichstellung der Stadt Münster (einstimmiger Beschluss in der Sitzung vom 6. Juni 2024).
Gestaltung
Metalltafel mit Text, Bildern und QR-Code.
Einweihung
8. Juli 2025 in Anwesenheit von Josefine Paul, Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes NRW, und Oberbürgermeister Markus Lewe sowie Murielle Guéguen, Vorsitzende des Frauenrats NRW.
Erinnerungsmotiv
Die Gedenktafel erinnert an Catharina Margaretha Linck / Anastasius Lagrantinus Rosenstengel. 1718 kam sie/er mit ihrer/seiner Frau Catharina M. Mühlhahn nach Münster, lebte und arbeitete zwei Jahre als Pförtner in der Jesuitenschule. In der Petrikirche ließ sich das Paar katholisch taufen und trauen.
Geschichtlicher Hintergrund
Catharina Margaretha Linck, geboren 1687, wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, unter anderem in einem Waisenhaus der Franckeschen Stiftungen. Sie sollte als Mitglied einer streng gläubigen evangelischen Kirche mehrere Stunden täglich beten. In ihrer Jugend riss sie mehrfach aus, kehrte immer wieder zurück und lernte schließlich das Knopfmacher- und Kattundruckerhandwerk.
Im Alter von 15 Jahren kleidete sie / er sich erstmals in Männerkleider, reiste mit radikalen evangelikalen Sekten durchs Land und ließ sich auf den Namen Anastasius Lagrantinus Rosenstengel taufen. Im Spanischen Erbfolgekrieg heuerte sie / er ab 1705 über sieben Jahre in verschiedenen Armeen an, lebte als Soldat und mit Hilfe einer “ledernen Wurst” als Mann, der sexuelle Kontakte mit Frauen hatte. Nach einer Flucht wurde sie/er von einem Kriegsgericht als Deserteur zum Tode verurteilt. Sie offenbarte ihr Geschlecht und entging so der Hinrichtung, wurde allerdings vermutlich in ein Zuchthaus eingewiesen. Er / Sie heuerte später wieder beim Militär an, wechselte immer wieder den Ort und den Dienstherrn. Im Alter von 30 Jahren heiratete sie / er 1717 in Halberstadt eine Frau: Catharina Margaretha Mühlhahn, die Ehefrau, war rund elf Jahre jünger. Die Quellen zeichnen das Bild einer Liebesbeziehung, die auf Gegenseitigkeit beruhte, die aber auch von Gewalt geprägt war. Die Sesshaftigkeit wurde dem Paar zur Gefahr. Denn die Enttarnung drohte. Sie zogen mittellos umher, fanden schließlich eine Unterkunft als Ehepaar im Jesuitenkloster in Münster, wo sie sich katholisch taufen ließen und erneut heirateten – dieses Mal katholisch. Die Trauung fand vermutlich 1719 statt, möglicherweise bereits ein Jahr zuvor.
Aus ungeklärten Gründen mussten sie das Kloster in Münster jedoch wieder verlassen. Es erfolgte die Rückkehr nach Halberstadt, wo Catharina / Anastasius von der Schwiegermutter enttarnt wurde.
Die Akten des Gerichtsverfahrens zeigen das Bild von einer klugen Person, die sich unter schwierigsten Lebensumständen ihr eigenes Leben aufbaute. Anfang des 18. Jahrhunderts sind jedoch von der heterosexuellen Norm abweichende Sexualitäten ohne größere Unterschiede als „Sodomie“ bezeichnet worden. Es folgte nach längerem Prozess und auf direkte Intervention König Friedrich Wilhelms I. das Todesurteil. Am 8. November 1721 wurde sie / er mit dem Schwert in Halberstadt hingerichtet. Das war die letzte Hinrichtung einer Frau wegen einer gleichgeschlechtlichen Beziehung in Europa. Die Ehefrau Catharina Mühlhahn wurde zu drei Jahren Spinn- und Zuchthaus verurteilt.

Szenische Darstellung der Trauung im Rahmen eines 'Frauenhistorischen Stadtrundganges' (A. Neugebauer)
Öffentliche Wahrnehmung
War Catharina eine Frau, die eine andere Frau liebte, und der nur als Mann gekleidet berufliche und sexuelle Freiheit zugestanden wurde? Oder würden wir Anastasius heute als trans Mann bezeichnen? Aus heutiger Sicht und im Wissen um veränderbare Geschlechterrollen lassen die historischen Quellen mehrere Deutungen zu, ob lesbisch, trans, nonbinär oder fluide.
Das bleibt offen. Die letzten Worte machen deutlich, dass Catharina / Anastasius sich keineswegs als Einzelfall sah:
“Würde sie auch aus dem Weg geräumt, so bliebe doch dergleichen.”
Das Leben von Catharina Margaretha Linck / Anastasius Lagrantinus Rosenstengel ist Ende des 19. Jahrhunderts von dem Arzt Franz Carl Müller erforscht und unter dem Titel “Ein weiterer Fall von conträrer Sexualempfindung” 1891 veröffentlicht worden. Die nächste Person, die nach Franz Carl Müller die Prozessakte von 1721 im Berliner Geheimen Staatsarchiv eingesehen hat, war Angela Steidele. Mit dem Sachbuch “In Männerkleidern” hob Angela Steidele die Biographie im Jahr 2004 (erweiterte Neuausgabe 2021 anlässlich des 300. Jahrestags der Hinrichtung) an die breite Öffentlichkeit. Mit einem Briefroman “Rosenstengel” hat Angela Steidele das Leben Catharinas / Anastasius ein weiteres Mal zum Gegenstand eines Buchs gemacht, das mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichnet wurde.
Seit den 1990er Jahren hat die Autonome FrauenForschungsStelle e.V. – Schwarze Witwe – unter Leitung von der Historikerin Marion Böker frauenhistorische Stadtrundgänge angeboten. In diesem Rahmen ist in Münster erstmals auch das Leben Catharina Lincks / Anastasius Rosenstengels thematisiert worden. Heute setzt die Arbeitsgruppe Frauengeschichte Münster diese Arbeit fort.
2024 wurde Catharina Margaretha Linck im Rahmen des Projekts Frauenorte in die Liste der FrauenOrte NRW aufgenommen: www.frauenorte-nrw.de. Eine Gedenktafel nahe der Petrikirche in Münster, dem Ort der katholischen Trauung 1720, wird am 8. Juli 2025 öffentlich eingeweiht.
Quellen, Literatur und Darstellungen
- Angela Steidele: Rosenstengel. Ein Manuskript aus dem Umfeld Ludwigs II. Matthes & Seitz, Berlin 2015.
- Angela Steidele: In Männerkleidern. Das verwegene Leben der Catharina Margaretha Linck alias Anastasius Rosenstengel, hingerichtet 1721. Biografie und Dokumentation. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2004 (erweiterte Neuauflage: Insel Verlag, Berlin 2021).
- Inés Gutschmidt: Sehnsüchte und der Kampf um Autonomie | Frauen in Münster, in: Ulrich Bardelmeier (Hg.): Mythos Münster. Schwarze Löcher, weiße Flecken. Unrast, Münster 1993, S. 31-51.
- Umständliche und wahrhaffte Beschreibung einer Land- und Leute-Betrügerin, Druck, o.O. 1720. Digitalisat bereitgestellt von der ULB Sachsen-Anhalt, Halle: digital.bibliothek.uni-halle.de/hd/content/pageview/222368.
- Franz Carl Müller: Ein weiterer Fall von conträrer Sexualempfindung. In: Friedreich’s Blätter für gerichtliche Medicin und Sanitätspolizei. 42 (1891).
- Künstlerische Verarbeitung von Ria Brodell, 2010: www.riabrodell.com/catharina-linck-aka-anastasius.
- Frauenorte NRW: www.frauenorte-nrw.de/linck-rosenstengel-muenster.
- Frauenhistorische Stadtrundgänge in Münster: frauen-stadtrundgaenge-muenster.de.