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Ausschnitt eines alten Stadtplans von Münster aus dem Jahre 1862
 
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Schwester-Laudeberta-Weg

Stadtbezirk:Münster-Mitte
Statistischer Bezirk: Überwasser/Dom
Entstehung: 2022
Amtsblatt: 14/2022   13.05.2022
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Benannt nach Schwester Laudeberta, geborene Johanna van Hal (1887-1971), Clemensschwester in Münster, die mutig Widerstand gegen die Euthanasie-Verbrechen des NS-Regimes geleistet hat.

Schwester Laudeberta *18. Mai 1887 in Groenlo (NL) als Johanna van Hal, † 6. September 1971 in Münster, war eine Ordensschwester der Barmherzigen Schwestern (Clemensschwestern) in Münster war viele Jahre als Krankenschwester in der westfälischen Provinzialheilanstalt Marienthal tätig. Während der NS-Zeit hat sie mutig Widerstand gegen die "Euthanasie"-Verbrechen des Nationalsozialismus geleistet und sich für die Rettung psychisch kranker und behinderter Menschen eingesetzt. Insbesondere hat sie auch Bischof Clemens August von Galen über die bevorstehenden Deportationen in Vernichtungslager informiert. Für den Bischof war dies ein entscheidender Anstoß für seine berühmt gewordenen Predigten.

 

Kurzprortrait von Markus Köster:

Eine couragierte Frau und ihre mutigste Tat

Die Ordensschwester Laudeberta informierte Bischof von Galen im Sommer 1941 über Patientendeportationen aus der Klinik Marienthal.

Seit einigen Monaten hören wir Berichte, dass aus Heil- und Pflegeanstalten für Geisteskranke auf Anordnung von Berlin Pfleglinge, die schon länger krank sind und vielleicht unheilbar erscheinen, zwangsweise abgeführt werden. Regelmäßig erhalten dann die Angehörigen nach kurzer Zeit die Mitteilung, der Kranke sei verstorben, die Leiche sei verbrannt, die Asche könne abgeliefert werden. Allgemein herrscht der an Sicherheit grenzende Verdacht, dass diese zahlreichen unerwarteten Todesfälle von Geisteskranken nicht von selbst eintreten, sondern absichtlich herbeigeführt werden, dass man dabei jener Lehre folgt, die behauptet, man dürfte sogenanntes lebensunwertes Leben vernichten, also unschuldige Menschen töten, wenn man meint, ihr Leben sei für Volk und Staat nichts mehr wert ..."

Viele kennen diese Sätze. Sie stammen aus der Predigt, die Münsters Bischof Clemens August Graf von Galen am 3. August 1941 in der Lambertikirche hielt. Darin prangerte er die sogenannte "Euthanasie"-Aktion des NS-Regimes gegen Behinderte und psychisch Kranke als das an, was sie war: Massenmord!

Während Galen und seine Predigt völlig zu Recht bis heute große Bekanntheit haben, ist der Name Schwester Laudeberta, geborene Johanna van Hal, völlig vergessen. Dabei war es die Ordensfrau der Clemensschwestern, der der Bischof im Sommer 1941 entscheidend sein Wissen über das Mordprogramm der Nationalsozialisten verdankte. Wer war diese Frau, deren Anonymität in merkwürdigem Kontrast zur Bedeutung ihrer mutigen Tat steht?

Johanna van Hal stammte, wie ihr Nachname verrät, aus den Niederlanden. 1887 wurde sie im Städtchen Groenlo im Achterhoek geboren, wenige Kilometer westlich der deutschen Grenze. Johanna war das jüngste von insgesamt fünf Kindern des Zimmermanns Hermanus Grades van Hal, der 1842 ebenfalls in Groenlo geboren war und seiner sieben Jahre jüngeren Frau Berendina, geborene ter Maat. Über Johannas Leben ist erstaunlich wenig bekannt. 1910 trat sie 22-jährig der Genossenschaft der Barmherzigen Schwestern von der allerseligsten Jungfrau und schmerzhaften Mutter Maria, kurz Clemensschwestern, bei. Kennengelernt hatte sie die Ordensgemeinschaft, deren Mutterhaus sich bis heute in Münster befindet, im Agnes-Hospital in Bocholt, wo sie als Krankenschwester arbeitete. Noch im gleichen Jahr nahm Schwester Laudeberta, wie sie nun hieß, ihren Dienst in der Krankenpflege der damaligen Provinzialheilanstalt Marienthal auf, der heutigen LWL-Klinik Münster. Dort blieb sie mit kurzen Unterbrechungen ihr ganzes Leben lang tätig.

Marienthal war keine kirchliche Einrichtung, sondern befand sich in Trägerschaft des Provinzialverbandes Westfalen, Vorläufer des heutigen Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Allerdings waren seit ihrer Gründung im Jahr 1878 Clemensschwestern in der Krankenpflege und den Wirtschaftsbetrieben der psychiatrischen Anstalt beschäftigt.

Nach dem Ersten Weltkrieg stieg die Zahl der Patienten in Marienthal stetig an; in den 1930er Jahren waren dort rund 1000 Menschen mit psychischen Krankheiten und Behinderungen stationär untergebracht. Gleichzeitig gerieten alle psychiatrischen Anstalten schon in der Weltwirtschaftskrise unter erheblichen Spardruck. Öffentlich mehrte sich die Kritik an den angeblich unnötig hohen Kosten der Unterbringung von "Geisteskranken", wie sie damals genannt wurden. Zusätzlich brach 1933 die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus über die Anstalten und deren Patienten herein. Hitler selbst kanzelte christlich oder humanitär motivierte Fürsorgemaßnahmen als "Wohlfahrtsduseleien" ab. Psychisch Kranke und Behinderte galten in diesem Werteraster als "unproduktive", "minderwertige" und letztlich "lebensunwerte Ballastexistenzen".

Schon das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom Juli 1933 unterwarf die Insassen von psychiatrischen Anstalten einer Zwangssterilisierung bei vermuteter Erbkrankheit. Mit Kriegsbeginn begann dann auf persönliche Anweisung Hitlers und unter strengster Geheimhaltung das, was beschönigend "Euthanasie" (griechisch "der gute Tod" genannt wird, aber "in Wirklichkeit der erste industriell betriebene Massenmord per Giftgas war - noch vor dem Holocaust am europäischen Judentum für den er in vielem als Vorbild diente." (Franz-Werner Kersting).

Die administrative Koordinierung der Mordaktionen lag für die westfälischen Anstalten beim Provinzialverband Westfalen. Wie in ganz Deutschland lassen sich in Westfalen verschiedene Phasen und Formen der Euthanasie-Verbrechen unterscheiden: Den Anfang bildete die Verschleppung von 59 jüdischen Patienten aus den Provinzialheilanstalten im September 1940, unter ihnen vier aus Münster-Marienthal. Alle vier wurden wenige Tage später in der Tötungsanstalt Brandenburg vergast.

Wenige Monate später, im Winter 1940/41 begann die "Kindereuthanasie", die Ermordung behinderter Säuglinge und Kinder. Im Rahmen dieser ebenfalls von Hitler persönlich initiierten Aktion wurden reichsweit mehr als dreißig als "Kinderfachabteilungen" getarnte Tötungsanstalten errichtet. In ihnen wurden behinderte Kinder durch Tabletten, Injektionen oder Verhungernlassen ermordet. Der Provinzialverband Westfalen richtete zunächst im sauerländischen Marsberg, dann in Dortmund-Aplerbeck eine solche "Kinderfachabteilung" ein; mindestens 200 Kinder, die meisten unter sieben Jahren, wurden dort umgebracht.

Parallel zu den Kindermorden lief die Erwachsenen-"Euthanasie-Aktion T4" an - benannt nach der Adresse, in der sie geplant wurde: einer Villa in der Tiergartenstraße 4 in Berlin. Im Rahmen dieser systematisch und zentral organisierten Melde-, Transport- und Gasmord-Aktion wurden allein aus den westfälischen Anstalten zwischen Juni und August 1941 insgesamt 2800 Patientinnen und Patienten in Vernichtungsanstalten, vor allem ins hessische Hadamar, verlegt. Reichsweit wurden bis Ende August 1941 ungefähr 70 000 Menschen ermordet, ein Viertel aller in psychiatrischen Anstalten untergebrachten Patienten.

Im öffentlichen Bewusstsein des Münsterlandes verankert ist die T4-Aktion vor allem, weil sie den Anlass für den berühmten Protest des Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen, bildete. Und hier kommt Schwester Laudeberta van Hal ins Spiel, die 1941 ja schon über drei Jahrzehnte in der Krankenpflege der Provinzialheilanstalt Münster wirkte. Als das Euthanasieprogramm des NS-Regimes Fahrt aufnahm, war sie gerade Stationsleiterin in der Anstalt geworden. Das war vermutlich ein Grund, warum die dort tätige weltliche Krankenschwester Else Stumpe ihr im Juli 1941 über eine ungeheuerliche Entdeckung berichtete. Der zweite dürfte in Johanna van Hals Persönlichkeit gelegen haben. Sie war nicht nur äußerlich eine große, stattliche Frau, sondern galt unter ihren Mitschwestern als außerordentlich couragiert und respektgebietend und als jemand, der den "Mund nicht halten konnte". Möglicherweise hatte das auch mit ihrer Herkunft zu tun: Als gebürtiger Niederländerin dürfte ihr der deutsche "Untertanengeist" ebenso fremd gewesen sein wie jegliche Sympathien für das Hitler-Regime.

Ihre Mitschwester Else hatte eines Abends, als sie nach Dienstschluss das Büro des leitenden Arztes putzte, eine Liste mit den Namen von Patienten entdeckt, die in der kommenden Woche aus Marienthal deportiert werden sollten. Kurzerhand schrieb sie die Liste ab und übergab sie Schwester Laudeberta. Diese handelte sofort. Sie sprach gezielt Angehörige von Patienten an und legte ihnen nahe, diese mit nach Hause zu nehmen, weil sich die ohnedies prekären Zustände in der Anstalt weiter verschlechtern würden.

Parallel dazu beschloss Schwester Laudeberta, den münsterschen Bischof Clemens August Graf von Galen persönlich über die drohenden Transporte zu informieren. Dies war nicht so einfach, denn die Schwestern standen unter Beobachtung eines NSDAP-Ortsgruppenleiters aus Kinderhaus, der als Pförtner in Marienthal arbeitete. So begab sich die couragierte Ordensfrau im Schutz der Dunkelheit zum Bischofspalais.

Es ist nicht bekannt, wie das Gespräch verlief, aber Bischof von Galen, der schon vorher beunruhigende Nachrichten über die Verlegung und Ermordung von Patienten aus westfälischen Heil- und Pflegeanstalten gehört hatte, reagierte schnell. Er schickte am 26. Juli einen scharfen Protestbrief an Landeshauptmann Kolbow, in dem er unter anderem schrieb: "Wie ich zuverlässig erfahre, werden jetzt auch in den Heil- und Pflegeanstalten der Provinz Westfalen Listen aufgestellt von solchen, die als sog. "Unproduktive" abtransportiert und in kurzer Zeit ermordet werden sollen. ... Die jetzt von der Provinzialverwaltung zugelassene Vorbereitung der Tötung Unschuldiger und erst recht die Durchführung des Vorbereiteten [ist] Teilnahme am organisierten Mord ... und ein Verbrechen, das zum Himmel schreit und das zum Unheil und Verderben für das deutsche Volk führen wird."

Foto

Die Ordensschwester im Kreis ihrer Familie im Garten in Marienthal.

Zwei Tage später erstattete von Galen auch Anzeige beim Polizeipräsidenten in Münster. Doch weder Landeshauptmann Kolbow noch der Polizeipräsident sahen sich zu einer Reaktion genötigt. Im Gegenteil hielt Kolbow am 31. Juli in einem Vermerk fest, er habe nicht die Absicht, sich durch den Brief des Bischofs "irgendwie beirren zu lassen; die Aktion sei in Westfalen in flottem Fortschreiten und in etwa 2-3 Wochen beendet." Noch am gleichen Tag wurden 79 Männer aus Münster-Marienthal abtransportiert. Für von Galen waren dieser Transport, über den ihn Schwester Laudeberta bei einem zweiten Besuch unterrichtet hatte, sowie die Wirkungslosigkeit seiner schriftlichen Proteste wohl das auslösende Moment für seine aufsehenerregende Predigt am folgenden Sonntag, dem 3. August 1941, in der Lambertikirche.

Woher der Bischof sein Wissen hatte, dürften die Verantwortlichen des Euthanasieprogramms in Westfalen zumindest geahnt haben, zumal der Bischof offen aussprach, dass er über zuverlässige Insiderinformationen aus der Anstalt Marienthal verfügte. Seine Predigt fand bekanntlich in und außerhalb Deutschlands enorme öffentliche Resonanz und war vermutlich der entscheidende Anstoß dafür, dass die braunen Machthaber die "Aktion T4" wenige Wochen später formal stoppten. Insofern rettete nicht zuletzt Laudebertas Einsatz Tausenden von Patienten in Deutschland das Leben. Allerdings brachte von Galens öffentlicher Protest keineswegs das dauerhafte Ende des Mordens an Psychiatriepatienten. Dieses lief vielmehr, in dezentraler Form, bis zum Kriegsende weiter. So folgte den T4-Transporten des Sommers 1941 auch in Westfalen 1943 eine zweite große Verlegungswelle, in der allein aus Münster-Marienthal 465 Patienten in mehrere süddeutsche Anstalten verlegt wurden, mehr als fünfmal so viele wie 1941. Nur 23 von ihnen waren bei Kriegsende noch am Leben.

Die Clemensschwestern scheinen der zweiten Deportationsaktion hilflos gegenübergestanden zu haben. Sie litten unter ihrem Wissen über den Zweck der Verlegungen, sahen aber offenbar keine Möglichkeit zu intervenieren. Nach Erinnerungen ihrer Mitschwestern hielt Schwester Laudeberta Bischof Clemens August weiterhin über die Geschehnisse in Marienthal und besonders die Verlegung von Patienten in Vernichtungsanstalten auf dem Laufenden. Doch auch der erhob in der zweiten Phase nicht mehr öffentlich seine Stimme.

Schwester Laudeberta selbst hat nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs weder über die Geschehnisse gesprochen noch schriftliche Aufzeichnungen hinterlassen. Sie blieb Schwester in Marienthal, war von 1945 bis 1952 Oberin der rund 100 Clemensschwestern in der Anstalt und danach stellvertretende Oberin und Leiterin der Wäscherei. Mit 84 Jahren starb sie am 6. September 1971 und fand ihre letzte Ruhe wie alle münsterischen Clemensschwestern auf dem Zentralfriedhof zu Münster. Während über dem Grab ihrer Mitschwester Euthymia 2006 eine eigene Kapelle errichtet wurde, schmückt das von Laudeberta nur eine schlichte kleine Platte.

Autor: Markus Köster
Quelle: Westfälische Nachrichten, Auf Roter Erde, Heimatblätter für Münster und das Münsterland, August 2021 (Auszug)

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