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Objektgeschichten
Ausstellung „Mehr als man kennt – näher als man denkt“ in der Bezirksregierung Münster eröffnet
Auf den ersten Blick wirken sie nicht besonders beeindruckend, die 29 Objekte, die die Wanderausstellung „Mehr als man kennt – näher als man denkt“ seit dem 20. September in der Bezirksregierung Münster zeigt. Eine Brotschneidemaschine besitzen doch viele, und gerade ein Fahrrad ist in einer Stadt wie Münster sicher keine Seltenheit – Alltagsgegenstände eben.
Und doch sind diese 29 Objekte wertvoll, denn sie erzählen Geschichten: von Entrechtung, Verfolgung und Verlust, aber auch von Nachbarschaft, Verbindungen und Erinnerungen. Sie berichten von der Verfolgung ihrer einstigen Besitzerinnen und Besitzer im Nationalsozialismus und von den Wegen, auf denen sie schließlich in die 29 Gedenkstätten in NRW gelangten, in deren Ausstellungen sie heute gezeigt werden.
Das Gemälde von Anatol Herzfeld ist ein solches zentrales Objekt im Geschichtsort. Angelehnt an ein Foto, das eine Szene der Massenerschießung in der Schlucht Babyn Jar bei Kiew zeigt, wirft das Bild Fragen nach polizeilicher Täterschaft und Aufgabenteilung, Zustimmung und Motivation sowie Aufarbeitung der Verbrechen und Kontinuitäten in der Polizeiarbeit auf. Doch nicht nur die Abbildung selbst, sondern auch die Entstehungsgeschichte des Bildes kann Auskünfte über die Vergangenheit geben: Anatol Herzfeld malte das Bild in Reaktion auf den Besuch einer Ausstellung zur Polizeigeschichte, in der polizeiliche Verbrechen im Nationalsozialismus und personelle Kontinuitäten thematisiert wurden – nachdem diese Jahrzehntelang nicht oder kaum angesprochen wurden und sogar eigene Kollegen an diesen beteiligt waren. Solche Details, aber auch die Art des Umgangs mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und Objekten wie denen, die nun in der Ausstellung vorgestellt werden, bestimmen die Weise, mit der die Geschichte der NS-Zeit erzählt wird.
So sind Gedenkstätten wichtige Orte der historisch-politischen Bildung. Durch die Rekonstruktion und das Erzählen von individuellen Geschichten tragen sie einen wichtigen Teil zur Erinnerungskultur bei und können Aufmerksamkeit erregen, auch nach dem „Warum“ der Taten und Entwicklungen fragen, und Diskussionen anregen um aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen.
In welcher Art dies geschieht und inwiefern Veränderungen in der Gedenkstätten- und Erinnerungsarbeit notwendig sind, diskutierte Peter Grabowksi, kulturpolitischer Reporter, bei der Ausstellungseröffnung mit Dorothee Feller, Präsidentin der Bezirksregierung Münster, Klaus Kaiser, Parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Kultur und Wirtschaft, und Axel Doßmann, Leiter der Villa ten Hompel.
So wie sich die Erzählung von Geschichte mit der Zeit verändert, sei es auch Aufgabe der Gedenkstätten, immer wieder neue Fragen zu stellen, neue Wege der Erinnerung zu gehen und neue Ansätze zu finden, Geschichte zu vermitteln – und so auch einen Blick auf die Gegenwart zu werfen und Bezüge zu den eigenen Lebenswelten der Besucherinnen und Besucher herzustellen und eigene Reflexion zu ermöglichen. So sei, wie die Diskussionsteilnehmenden betonten, Innovation gefragt, dabei aber immer die verlässliche Arbeit der Gedenkstätten sicherzustellen, wie Klaus Kaiser hervorhob. Hierzu sei es wichtig, eine wirkliche „Verankerung“ der Gedenkstätten und Erinnerungsorte zu erreichen – eine Frage finanzieller und personeller Ressourcen, sodass die Diskussion auch mit dem Appell für eine finanzielle Unterstützung und Entlastung der Mitarbeitenden endete. So können Gedenkstätten und Geschichtsorte einen zentralen Beitrag zu einer lebendigen Erinnerungskultur leisten, denn, so Dorothee Feller, sie machen auch deutlich, dass sich die Geschichte direkt vor unseren Haustüren abspielte – und auch daraus erwächst die Verantwortung, sich mit ihr und aktuellen Formen von antisemitischer und rassistischer Diskriminierung auseinanderzusetzen.
Die Ausstellung ist eine Initiative der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen im Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes, des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW e. V. und der Bezirksregierung Münster und ist noch bis zum 1. Oktober zu sehen.