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Muss mobile Beratung feministisch sein?
Sammelband zur Beratung zu Rechtsextremismus und Demokratiegefährdung erschienen
Geschlechterverhältnisse und die Beratung gegen Rechtsextremismus? Das hat viel miteinander zu tun, sagt Kathalena Essers: „Es gibt keine Beratungssituation, die unbeeinflusst ist davon, welches Geschlecht die beratungssuchende Person hat. Die Welt ist eben patriarchal strukturiert.“ Sie ist Sozialwissenschaftlerin und Mitarbeiterin bei mobim, der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Münster. Die Beratung unterstützt Menschen in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, aber auch mit Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus und anderen Ungleichwertigkeitsvorstellungen. Solche Vorstellungen denken die Mitarbeitenden der Mobilen Beratung auch bei der Beratung mit und beziehen sie bei der Lösungssuche mit ein, denn sie beeinflussen, mit welchen Erfahrungen die ratsuchende Person vor ihnen sitzt.
Was das konkret heißt? „Wenn zum Beispiel die Arbeit einer Gleichstellungsbeauftragten in einem Ausschuss in Frage gestellt wird, dann steht sie mit ihrer Rolle und dem Thema der Geschlechterhierarchien im Fokus, aber auch als Person mit ihrem individuellen Anliegen.“ Aber auch mit Blick auf den NSU 2.0, die sich gerade auch von Rassismus betroffene Frauen als Zielscheibe auswählten, oder der Frage queerer Selbstorganisation in Schulen zeigt sich, wie relevant das Thema Geschlecht für den Beratungsprozess sein kann: „Das hat einen Einfluss darauf, wessen Anliegen überhaupt gehört werden – und das macht auch die Suche nach Lösungen anders.“
Zusammen mit ihrer Kollegin Julia Haas, Soziologin und Projektverantwortliche für „Spotlight – Antifeminismus erkennen und begegnen“ der Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz e.V. schrieb sie nun einen Artikel zum Antifeminismus als Beratungsgegenstand. Antifeminismus verstehen sie als ein Ideologieelement der extremen Rechten – neben völkischem Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus und weiteren Aspekten. Das zeigt sich zum Beispiel am Familien- und Geschlechterbild, dass nur zwei Geschlechter kennt, denen klare Rollen zugeschrieben werden. Diese Vorstellungen seien aber auch anschlussfähig für unterschiedliche Milieus, so Kathalena Essers: „Wenn man auf eine Demonstration schaut, die von einem antifeministischen Diskurs mitgeprägt wird, trifft man auf ganz unterschiedliche Gruppen, von neonazistischen Akteuren bis hin zu einem konservativbürgerlichen Milieu. Und das hat am Ende den Effekt, dass solche Erzählungen normalisiert werden. Die Gefahr ist dabei, dass man den dadurch entstehenden Ausschluss von Personen nicht mehr sieht.“ In Münster selbst sieht man diese Normalisierung zum Beispiel beim „1000-Kreuze-Marsch“, bei dem sich extreme Rechte, aber auch bürgerliche Kreise beteiligen.
Das bedeutet aber laut Essers noch nicht, dass eine Mobile Beratung immer feministisch ist. „Wir arbeiten menschenrechtsorientiert, weswegen wir natürlich nicht daran vorbeikommen, auch geschlechterreflektiert zu beraten. Aber das feministisch zu nennen, entleert auch den Feminismusbegriff.“ Diese Reflexion ist auch noch Teil eines fortlaufenden Prozesses. Seit 2019 beschäftigen sich die Mobilen Beratungen Nordrhein-Westfalens damit, welche Rolle Geschlecht in der Beratung spielt: „Das denken wir dann zum Beispiel in der Vor- und Nachbereitung von Beratungsgesprächen mit. Und wir fragen danach, welche Rolle es in den Teams spielt, die wir nämlich gemischtgeschlechtlich besetzen möchten.“
Mobim hat seine Büros zurzeit im Geschichtsort Villa ten Hompel. Thematisch liegt die Geschichte in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten wegen historischer Kontinuitäten zum Nationalsozialismus nahe. Die Verherrlichung oder die Verharmlosung des NS-Regimes kommen immer wieder vor, so Essers. Und: „Auf die Expertise von Kolleg*innen zurückgreifen zu können und sich miteinander auszutauschen, ist extrem hilfreich. Am Ende beschäftigen wir uns dann doch mit ähnlichen Themen, der Frage nach Menschenrechtsorientierung, mit Antisemitismus- oder Rassismuskritik.“
Wer mehr über den Antifeminismus als Beratungsgegenstand und die Auswirkungen auf eine geschlechterreflektierte Beratungsarbeit wissen will, kann sich Kathalena Essers und Julia Haas’ Aufsatz „Muss Mobile Beratung feministisch sein?“ ansehen. Erschienen ist er im Sammelband „Beratung zu Rechtsextremismus und Demokratiegefährdung“ von Friedemann Bringt, Marion Mayer, Nora Warrach und Esther Lehnert.
Zur Website der Mobilen Beratung im Regierungsbezirk Münster