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Welttag des Fernsehens
Die Zeit des Nationalsozialismus bietet seit jeher einen reizvollen Stoff für Regisseur*innen und Filmemacher*innen. Am Welttag des Fernsehens am 21. November möchten wir über die geschichtskulturelle Relevanz von Film und Fernsehen im NS-Kontext nach 1945 sprechen.
Bereits seit den 1950er Jahren versuchten Filme und Fernsehserien im In- und Ausland die Zeit zwischen 1933 und 1945 auf verschiedene Art filmisch zu verarbeiten. In der Rückschau wird deutlich, dass sich dabei verschiedene Darstellungstendenzen herauskristallisieren, die einerseits auf die Entwicklung in Forschung und Geschichtskultur reagieren, andererseits aber auch selbst Beiträge leisten, die den fachwissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs prägen.
Eine Zäsur in der deutschen Erinnerungskultur markiert beispielsweise die vierteilige US-amerikanische Produktion Holocaust, die 1979 in der Bundesrepublik ausgestrahlt wurde. Die Geschichte der fiktiven jüdischen Arztfamilie Weiss thematisierte erstmals gegenüber einem breiten deutschen Publikum filmisch den Genozid europäischer Jüdinnen*Juden. Der Begriff „Holocaust“ fand nach Veröffentlichung des Films auch im geschichtswissenschaftlichen Kontext weite Verbreitung. Hier zeigt sich, welche Wirkmacht Film und Fernsehen in Bezug auf den gesellschaftlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit entfalten können.
Analog zur damaligen fachwissenschaftlichen Hinwendung zur „Oral History“ leitete Holocaust eine Priorisierung der Alltagsgeschichte in der medialen Beschäftigung mit der Zeit des „Dritten Reiches“ ein. Entgegen der zuvor besonders präsenten „Hitlerfilme“ sollten nun die Geschichten der „gewöhnlichen Leute“ erzählt werden. Ein prominentes Beispiel hierfür stellt die Filmreihe Heimat (1984) des Regisseurs Edgar Reitz dar. Hier soll die Perspektive der Provinz und späteren Heimatfront eingenommen werden. Nicht nur an dieser Stelle geht mit der Hinwendung zur Sicht der „normalen Leute“ eine Vermenschlichung und Beschönigung der deutschen Mehrheitsgesellschaft einher. So wird in Heimat der nationalsozialistische Machtapparat als eine externe, das Dorf von außen konfrontierende Kraft wahrgenommen, die zwar toleriert wird, die bereits bestehenden Handlungsmuster und Lebensgewohnheiten jedoch nicht stärker beeinflusst. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft wird dadurch als passive Mitgänger klassifiziert, während die Täter*innen oft gesichtslos bleiben. Die Frage nach der eigenen Verantwortung bleibt so aus. Tatsächlich knüpft die Entpolitisierung des privaten Raumes allerdings auch an einen zeitgenössischen Forschungsschwerpunkt an, der die Resistenz privater Gewohnheiten gegen die neuen politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse in den Blick nahm.
Ab den 90er Jahren lässt sich dann die Hinwendung zu einer möglichst authentischen und realistischen Darstellung in Film und Fernsehen beobachten. Dies ging wiederum einher mit einer neuen Denkmalkultur und den parallel an Popularität gewinnenden Dokumentationen über die NS-Zeit, sodass auch in Filmen ein eher dokumentarischer Stil etabliert wurde und der Plot sich nicht mehr auf fiktive Geschichten, sondern auf historische Tatsachen bezog.
Das wohl prominenteste Beispiel dieser neuen Spielart ist Steven Spielbergs Schindlers Liste (1993). Auch hier wird eine reale Begebenheit dargestellt. Der Plot versuchte einerseits möglichst faktenbasiert und detailgetreu die Geschichte Oskar Schindlers vom Nutznießer der NS-Besatzung in Polen zum Retter von etwa 1200 Jüdinnen*Juden zu erzählen, andererseits die unfassbaren Gräueltaten der deutschen Besatzung gegenüber der jüdischen Bevölkerung ungefiltert und sachlich abzubilden. Der Film wurde von der Fachwissenschaft verhältnismäßig positiv aufgenommen. Lediglich die Fokussierung auf einen „deutschen Helden“ wurde kritisiert, während in der deutschen Rezeption der Serie Holocaust noch die Darstellung deutscher Täter*innen eher negativ gesehen wurde. Es zeigt sich also, wie sich die gesellschaftliche Position gegenüber deutscher Täterschaft in den vergangenen 15 Jahren geändert hatte.
Schindlers Liste markierte auch eine neue Sichtweise auf die Frage nach der Darstellung des Holocausts. Zuvor herrschte weitgehend ein implizites Bilderverbot, das von der Vorstellung ausging, dass eine filmische und damit dem Entertainment-Bereich zugeordnete mediale Abbildung des größten Menschheitsverbrechens der Geschichte unangebracht oder zwangsläufig unzureichend wäre. Spielberg brach mit dieser Vorstellung und traf damit auch auf eine grundsätzlich entgegenkommende Rezeption.
Zwar zeigte der Film nicht den Akt des Massenmordes durch Giftgas explizit, deutete ihn jedoch an und veranschaulichte durch die Darstellung der Räumung des Ghettos sowie der willkürlichen Erschießungen im Arbeitslager wesentliche Best.
Beides, sowohl der Authentizitätsanspruch, als auch die explizite Wiedergabe der NS-Gewaltverbrechen, prägten von nun an auch deutsche Produktionen. So übernahmen Filmteams eigenständig Recherchearbeiten zu relevanten Biographien und historischen Sachverhalten und leisteten so auch ganz direkt einen Beitrag zur Fachwissenschaft.
Trotzdem bleiben Filme und Serien über den Nationalsozialismus fiktionale Geschichten und erheben nicht den Anspruch, die Realität detailgetreu wiederzugeben. Diese Aufgabe bleibt Dokumentationen vorbehalten. Oft führt die unreflektierte Rezeption von Historienfilmen zu einer Übernahme fiktiver Inhalte in das persönliche Geschichtsbild. Dieses Phänomen beobachten wir hier in der Villa besonders in der Seminararbeit, wo hin und wieder Mythen und falsche Vorstellungen über bestimmte Begebenheiten aufgeklärt werden müssen. Daher sollte vor allem in Schulen, wo Filme wie Schindlers Liste längst auch zur Veranschaulichung der NS-Verbrechen gezeigt werden, eine Sensibilität bei der Rezeption solcher Medien vermittelt werden. Insbesondere im Hinblick auf Social Media wäre eine didaktische Akzentuierung der Medienkompetenz im Geschichtsunterricht wünschenswert. Anhand von Produktionen wie Holocaust und Schindlers Liste wird deutlich, welchen Einfluss Film und Fernsehen auf das gesellschaftliche Geschichtsbild und sogar auf die Fachwissenschaft entfalten können. Dies birgt sowohl Chancen als auch Risiken.
Dieser Text stützt sich auf einen Beitrag von Frank Bösch aus den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte.