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Fundstück des Monats
April 2025: Wegnehmen und Zurückgeben – Das Dessertgeschirr der Familie Haas
Anlässlich des internationalen Tages der Provenienzforschung blicken wir auf eine Leihgabe in unserer Sammlung, die nicht wegen ihrer wertvollen Materialität oder herausragenden Fertigung an Einzigartigkeit gewinnt, sondern wegen ihrer Provenienz – ihrer Herkunftsgeschichte.
Das Obst- und Konfektporzellan gehörte dem jüdischen Fabrikanten Ernst Haas (1897–1968) aus Borken. Haas flüchtete 1939 in die Niederlande, wo er 1940 verhaftet und ins Lager Westerbork deportiert wurde. Seine Ehefrau Ruth (geb. Marck) und die drei Söhne, die zunächst in Borken zurückgeblieben waren, wurden 1942 in das KZ Majdanek deportiert und dort ermordet. Der Besitz der Familie wurde öffentlich versteigert und verschenkt.
Die Eltern von Ilse Ernst suchten sich das Geschirr bei der NS-Ortsgruppenstelle Borken aus, nachdem sie ihren Hausrat durch Bombenzerstörung verloren hatten. Nach seiner Befreiung ging Erich Haas mit einer Liste seiner Besitztümer in Borken von Haus zu Haus, um sein Eigentum wiederzubekommen. Er überließ der Mutter von Ilse Ernst das Geschirr, als sie ihm wahrheitsgemäß die erhaltenen Gegenstände zeigte. Haas setzte sich in der Nachkriegszeit für die Entschädigung der jüdischen Gemeinde und die Wiederherstellung der zerstörten jüdischen Friedhöfe ein. Vor dem Landgericht Münster sagte er im Prozess gegen die Borkener Täter der Novemberpogrome als Zeuge aus.
Jahrzehnte später wandte sich Ilse Ernst wegen des Geschirrs an die „Stiftung Zurückgeben“, die 2005 den Kontakt zur Villa ten Hompel herstellte. Die Stiftung wurde 1994 mit dem Ziel, jüdische Frauen in Kunst und Wissenschaft zu fördern, gegründet – im Wissen um die Zerstörung von Arbeitsmöglichkeiten und Enteignung von Jüdinnen*Juden während der NS-Zeit. Sie appelliert bis heute an die nachgeborenen Generationen, Verantwortung zu übernehmen und anzuerkennen, dass ein Großteil der Deutschen direkt und indirekt von der Enteignung europäischer Jüdinnen*Juden profitierten. Ein Beispiel aus Münster: 1942 kam ein Schiff mit 156 Zimmereinrichtungen deportierter jüdischer Familien am hiesigen Hafen an. Ein Beispiel aus Münster: 1942 kam ein Schiff mit 156 Zimmereinrichtungen deportierter jüdischer Familien am hiesigen Hafen an, die an „bombengeschädigte“ Münsteraner Familien verteilt wurden.