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Schatzungsregister und Gesamtschatzungsregister
Pecunia Nervus Rerum (Übersetzt: "Das Geld ist der Nerv der Dinge") lautete in der Frühen Neuzeit eine politische Binsenweisheit. Der durch Staatsausbau und Kriege stetig steigende Finanzbedarf frühneuzeitlicher Staaten und Territorien konnte spätestens seit dem 16. Jahrhundert durch Domänen-Einnahmen und wenige Grundsteuern nicht mehr gedeckt werden. Daher erlegten sie seit dem späten Mittelalter ihren Untertanen regelmäßige direkte Steuern auf. Diese konnten als Haus- oder Feuerstellen, Vieh- oder auch als Kopfsteuern erhoben werden.
Basis der Besteuerung stellten die Steuerschatzungen dar. Aus ihnen gingen die sogenannten Schatzungslisten hervor. Je nach Art der erhobenen Steuern legten sie für einzelne Haushaltungen, Höfe etc. die geforderten Steuersätze fest und erfassten relevante Daten.
Dies galt auch für die landesherrliche Besteuerung im Fürstbistum Münster. Für die Organisation der landesherrlichen Schatzungen innerhalb Münsters war die Stadt selbst verantwortlich. Für die Steuererhebung wurden daher seit dem späten 16. Jahrhundert Schatzungslisten für die einzelnen Leischaften, die traditionellen Stadtteilgemeinschaften Münsters, erstellt.
In den Beständen des Stadtarchivs liegen diese Listen nach den jeweiligen Leischaften gegliedert vom späten 16. bis zum Ende des Fürstbistums 1802 vor. Vor allem für das 17. Jahrhundert sind einige Überlieferungslücken zu verzeichnen.
Für das 16. Jahrhundert liegen die Schatzungslisten digital vor, etwa für die Lamberti-Leischaft. Weitere Digitalisierungen sind geplant.
Schatzungsregister nach Leischaften
In den Leischafts-Registern wurden die steuerpflichtigen Einwohner oder Haushaltungen mit Namen und mit der zu entrichtenden Steuersumme aufgeführt. Letztere orientierte sich an fixierten Steuerbeträgen. Diese konnten aber auch individuell modifiziert werden.
Die Leischafts-Register führen für die Erhebungsmonate zumeist nur die von den einzelnen Haushaltsvorständen zu zahlenden Summen an. Nur gelegentlich wurden in älteren Verzeichnissen Ehefrauen. Dies erfolgte zumeist namenlos mit Kürzeln wie fr. bzw. lateinisch e. ux. (et uxor = und Ehefrau) oder c. u. (cum uxore = mit Ehefrau) aufgeführt.
Anhand der Listen kassierten Leischaftsdiener monatlich den festgesetzten Steuerbetrag bzw. einen Teil davon. Zu Beginn und um die Mitte des Jahres wurden die Listen mit der so genannten Umschreibung aktualisiert und um neu zugezogene Personen oder neu gegründete Haushalte ergänzt.
Die Eintragungen in die Leischafts-Verzeichnisse wurden lange Zeit grob nach Straßenverläufen geordnet, die sich über ungefähre topographische Orientierungshilfen wie etwa Aegidii Straßen ander Seiten in den Listen erschließen lassen.
Ab den 1780er Jahren verwenden die Leischafts-Register standardisierte nach Hausnummern geordnete Formulare. Sie erfassten gleichzeitig auch andere Abgaben, etwa das für die Stadtverteidigung erhobene "Stadtwerk"-Geld. Dieses bemaß sich an den hier ebenfalls erfassten, als "Dienst" bezeichneten Quoten, mit denen die jeweiligen Häuser belegt waren.
Gesamtschatzungsregister für außerordentliche Steuern
Für die in manchen Jahren stattfindende Erhebung von außerordentlichen landesherrlichen Kopfsteuern wurden seit 1669 so genannte Gesamtschatzungsregister angelegt. Auf der Grundlage der regelmäßig erstellten Schatzungslisten erfassten sie für die ganze Stadt systematisch alle Mitglieder einer Haushaltung. Hier werden Haushaltsvorstand, Ehefrauen (zumeist ohne Namen) und Kinder mit Namen und Alter angegeben. Letzteres ist wichtig, da Kinder ab 12 "versteuert" werden. Darüber hinaus wird auch ein zu entrichtender Anschlagsbetrag verzeichnet. Im 18. Jahrhundert werden ebenfalls systematisch Dienstboten sowie andere "Hausgenossen" wie z.B. Lehrjungen erfasst.
Ab 1770 werden für die Kopfschatzung Vordrucke (Formulare) benutzt, in denen die notwendigen Angaben in Tabellen eingetragen werden. Ordnungsprinzip sind hier die seit 1769 etablierten Hausnummern. Diese wurden mit dem für die Feuerversicherung erforderlichen Brandkataster eingeführt. Mithilfe von Konkordanzen lassen sich die genauen Wohnorte von Personen ermitteln.
Gesamtschatzungsregister liegen für die Jahre 1685, 1689 und 1690 sowie im 18. Jahrhundert von 1770, 1774-1775 und 1778 bis 1783 vor. Die Verzeichnisse werden gegenwärtig digitalisiert.
Quellenwert
Die Gesamtschatzungsregister sind gerade für sozial- und personengeschichtliche Recherche- und Forschungsinteressen von außerordentlichem Wert. Für Familien- und Ahnenforscherinnen und Forscher können sie eine wichtige, sehr weit zurückreichende Referenz darstellen. Sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Forschungen können aus ihnen Informationen über Vermögensverhältnisse, historische Demographie, Berufsschichtung und ähnliches ziehen. Sie bilden auch eine Grundlage für die vom Stadtarchiv herausgegebenen "Häuserbücher für die Stadt Münster".
Bei den Gesamtschatzungs-Registern ist wichtig zu beachten, dass sie keine durchgängigen und vollständigen Einwohner-Verzeichnisse darstellen. Durch die komplizierten Rechtsverhältnisse und das ausgeprägte Privilegienwesen waren etwa im späten 17. Jahrhundert eine große Anzahl von Personen von vielen Steuerlasten ausgenommen und erscheinen nicht in den erhaltenen Verzeichnissen. Ebenso wenig sind die in der Dom-Freiheit oder am Bispinghof lebenden Personen sowie nicht legitimierte Arme und andere gesellschaftlich randständige Menschen aufgeführt.
Die erhaltenen Gesamtschatzungsregister bilden nur eine, wenn auch die weitaus größte, von fünf Steuerklassen ab, die sowohl Patrizier als auch kleine Handwerker und Tagelöhner umfasste. Klerus, Niederadel, höhere Beamte und Offizierskorps gehörten zu anderen Steuerklassen und sind hier nicht aufgeführt. In den Gesamtschatzungslisten fehlende Akteure lassen sich mit den sogenannten Umschreiberegistern der jeweiligen Leischaften erfassen.
Exakte Rückschlüsse auf die finanzielle Lage der Besteuerten lassen sowohl die regelmäßigen Schatzungslisten als auch die Gesamtschatzungsregister nur bedingt zu. Steuerpflichtige werden zwar grob nach Berufsgruppe und Vermögensverhältnissen veranlagt. Es gibt aber keine systematische Berechnung vermögensbezogener Steuersätze.
Anders als die Einwohner-Verzeichnisse seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, gibt es für die Gesamtschatzungs-Listen keine durchgängigen Namensregister. Allerdings werden die Bände für die Jahre 1669 und 1770 durch Personenregister erschlossen, die im Lesesaal eingesehen werden können.
Literatur
- Lahrkamp, Helmut, Münsters Bevölkerung um 1685 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster, N.F. 6), Münster 1972 (enthält rekonstruierte Einwohnerlisten und –statistiken für das späte 17. Jahrhundert).
- Lahrkamp, Helmut (Hg.): Bevölkerung und Topographie Münsters um 1770 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster, N.F. 10), Münster 1980 (enthält rekonstruierte Einwohnerlisten und ausführliche Angaben zu Häusern).
- Lahrkamp, Monika, Münster in napoleonischer Zeit 1800–1815 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster, N.F. 7/8), Münster 1976. (S. 265–282, Überblick über die städtische Finanzverwaltung in fürstbischöflicher Zeit).
- Wilfried Reininghaus/ Marcus Stumpf (Hgg.): Schatzungs- und Steuerlisten als Quellen der landesgeschichtlichen Forschung, Münster 2014.
- Siekmann, Mechthild, Die Stadt Münster um 1770 (Schriftenreihe der Geographischen Kommission im Provinzialinstitut für Westfälische Landes- und Volksforschung; Siedlung und Landschaft in Westfalen,18), Münster 1989.