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Ausschnitt eines alten Stadtplans von Münster aus dem Jahre 1862
 
Straßenschild Ringoldgasse
 
 
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Alfred-Flechtheim-Platz

Stadtbezirk:Münster-Mitte
Statistischer Bezirk: Dom
Entstehung: 1994
Amtsblatt: Dez.94
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Die Stadtbücherei am Alfred-Flechtheim-Platz

Alfred Flechtheim, *1.4.1878, †9.3.1937 London, Kunstsammler und Mäzen. Alfred Flechtheim wurde als Sohn eines reichen Getreidehändlers in Münster geboren. Er besuchte das Gymnasium Paulinum, auf dem er sein Einjähriges machte. In Paris, wo er als junger Mann eine Ausbildung in einer Getreidefirma absolvierte, entdeckte er seine Liebe zur Kunst. Von 1913 an betrieb Flechtheim in Düsseldorf und Berlin Kunsthandel in großem Stil. In seinen Galerien hingen Werke, die er in den Ateliers der Künstler entdeckt und für zukunftsträchtig befunden hatte. Der Kunsthändler vermittelte an private Sammler und an Museen. Es ist Flechtheim zu verdanken, dass die europäische Avantgarde und besonders der französische Kubismus in deutschen Museen heimisch geworden sind. 1934 emigrierte Alfred Flechtheim, der als Verehrer moderner Kunst und Jude, den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge war, nach London.
Quelle: Detlef Fischer, Münster von A bis Z, Münster 2000


Der Münsteraner Alfred Flechtheim
Ein schöpferischer Kunsthändler mit Weltgeltung
Picasso hat einmal gesagt: 'Es gibt Künstler, die Schöpfer sind, es gibt aber auch schöpferische Kunsthändler'. Alfred Flechtheim war einer von ihnen. Der berühmte Berliner Sammler und Kunstmäzen Heinz Berggruen nennt ihn zu Recht in einem Atemzuge mit den legendären Kunsthändlern Paul Cassirer und Daniel-Henry Kahnweiler. Beide - Cassirer war ein wenig älter, Kahnweiler etwas jünger als er - hatten sich lange vor ihm etabliert, sie waren so etwas wie seine Lehrmeister.

Alfred Flechtheim erblickte 1878 in der Ludgeristraße 22 in Münster als ältester Sohn des Getreidehändlers Emil Flechtheim das Licht der Welt. Hier betrieb der Großvater Moses Flechtheim einen gut gehenden Handel mit Brot- und Futtergetreide. Unter der Regie seiner Söhne Alex und Emil entwickelte sich die Firma Flechtheim zu einem der führenden Getreideimporthäuser Westdeutschlands. Gisela Möllenhoff und Rita Schlautmann-Overmeyer haben den bemerkenswerten Aufstieg des Unternehmens, das mit einer Zweigstelle noch bis Anfang der 30iger Jahre in Münster vertreten war, in ihrem Erinnerungsbuch Jüdische Familien in Münster eingehend dokumentiert. Was geblieben ist, sind die Grabstätte des Firmengründers auf dem jüdischen Friedhof in Münster an der Einsteinstraße und der Flechtheimsche Speicher im Hafen. Der alte Backsteinbau wurde später in den Gebäudekomplex der Rhenus AG integriert.

Im Jahr 1895 wurde Bismarck 80 Jahre alt. Alfred Flechtheim - er hatte gerade das Einjährige hinter sich - hatte am 1. April, am selben Tage wie der alte Reichskanzler, Geburtstag. Deshalb beschloss seine Klasse, er solle Bismarck in ihrem Auftrag per Depesche gratulieren. Flechtheim versäumte dies, präsentierte seinen Klassenkameraden aber gleichwohl beim nächsten Treffen in ihrer Stammkneipe in der Wolbecker Straße die launige Antwort, die unter lautem Hallo bejubelt wurde: 'Seine Durchlaucht lässt den Einjährigen vielmals danken, wünscht viel Vergnügen und frohen Suff'. Darunter stand gez. Chrysander, so hieß Bismarcks Privatsekretär. Die Sache kam schnell heraus und machte die Runde. Vom Vater zur Rede gestellt, musste Flechtheim zugeben, die angebliche Antwort aus Friedrichsruh selbst verfasst und eigenhändig auf ein im Getreidekontor entwendetes Formular einer Firmendepesche getippt zu haben. Der gestrenge Vater kannte kein Pardon, nahm den Missetäter vom Gymnasium und schickte ihn stattdessen auf eine Handelsschule am Genfer See.

Nach dem zweijährigen Intermezzo in der romanischen Schweiz schickte er ihn zu einem Geschäftsfreund in Paris in die Lehre. Anschließend war Alfred Flechtheim noch einige Zeit für seinen Lehrherren in London, Liverpool und in Südrussland tätig, bevor er in Düsseldorf, inzwischen zum Hauptsitz der Firma Flechtheim avanciert, in den väterlichen Getreidehandel einstieg.
In Paris hatte der junge Kaufmann die Welt der Kunst für sich entdeckt. Die Schauspielerin Carla Mann, die ihn kurz nach seiner Ankunft in Düsseldorf in der dortigen Künstlerszene kennen lernte, schrieb begeistert an ihren Bruder Heinrich Mann, sie habe sich mit einem jungen Getreidehändler angefreundet, der gänzlich mit Kunst und Literatur angefüllt sei. Auf seinen Geschäftsreisen in die französische Metropole machte es sich Flechtheim zur Gewohnheit, Kunstgalerien zu besuchen und begann Grafiken zeitgenössischer Künstler zu sammeln. Im berühmten Cafè du Dôme am Montparnasse schloss er Freundschaft mit deutschen Matisse-Schülern und Kunstsammlern, die sich hier regelmäßig zum Gedankenaustausch trafen. Von ihnen erhielt er wichtige Anregungen.

Im Jahre 1908 hob Flechtheim in Düsseldorf gemeinsam mit Malern, die Anschluss an die Pariser Avantgarde zu gewinnen suchten, den Sonderbund westdeutscher Kunstfreunde und Künstler aus der Taufe, der frischen Wind in die verstaubte rheinisch-westfälische Kunstszene brachte. Er übernahm das Amt des Schatzmeisters, trat aber auch als Aussteller der von ihm gesammelten Kunstwerke in Erscheinung.

Auf der ersten Ausstellung der neuen Vereinigung, die 1909 auch im neuen Landesmuseum in Münster gezeigt wurde, war Flechtheims Kollektion moderner Pariser Grafik eine besondere Attraktion. Später wurden beim Sonderbund auch Gemälde von Cézanne, Picasso, Renoir, Rousseau und van Gogh aus seiner Sammlung ausgestellt. Flechtheim gelang es vor allem, die bekanntesten Pariser Künstler und Kunsthändler zum Beitritt und zur Teilnahme an den Ausstellungen des Sonderbundes zu bewegen. Die bedeutendste Ausstellung, die maßgebend von ihm mitgestaltet wurde, war die repräsentative, beim Publikum heftig umstrittene Internationale Kunstausstellung des Sonderbundes 1912 in Köln, die heute als die großartigste Werkschau der europäischen Moderne auf deutschem Boden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt.

So zog ihn die Beschäftigung mit der Kunst immer stärker in ihren Bann, der Getreidehandel rückte in immer größere Ferne. Im Juni 1913 notierte der 35-jährige Flechtheim in sein Tagebuch: 'Dann stelle ich aus: irgendwo, eine Kampfausstellung für meine Freunde. Und ich werde den Katalog drucken lassen und das Vorwort wird gedruckt und kritisiert und bekämpft. Ich glaube an eine neue Kunst, an das geheime unfassbare Etwas, das in ihr, in Picasso, bereits zum Ausdruck kommt.' Bei seiner ehrenamtlichen Tätigkeit für den Sonderbund hatte Flechtheim das Vertrauen der beiden im deutsch-französischen Kunsthandel einflussreichsten Kunsthändler Kahnweiler (Paris) und Cassirer (Berlin) gewonnen. Sie begrüßten seine Idee, sich in Düsseldorf als Galerist niederzulassen und gaben ihm Flankenschutz. Kahnweiler spürte instinktiv, das Flechtheim der richtige Mann war, um Picasso und den anderen von seiner Galerie vertretenen Künstlern den Weg nach Deutschland zu ebnen. Cassirer, der die führenden französischen Impressionisten in Deutschland vertrat, sah in Flechtheims Avantgarde-Angebot keine Konkurrenz, sondern eine willkommene Ergänzung. Weihnachten 1913 feierte die Galerie Flechtheim in der Düsseldorfer Alleestraße Premiere. Über seine erste Ausstellung berichteten nicht nur alle Düsseldorfer Zeitungen, sondern auch Zeitungen in Dortmund, Elberfeld, Essen und Hannover in ihren Feuilletons. [...]
Quelle: Westfälische Nachrichten, Auf Roter Erde, Heimatblätter für Münster und das Münsterland Nr. 6/2004